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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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Maskeraden. Es dauerte ein bisschen, ehe Fonda verstand, dass er als Bösewicht genauso aussehen sollte wie in seinen Gutmensch-Rollen, denn auf diese Weise wirkten Fondas abscheuliche Taten noch um einiges perfider.
    Wir hatten den Film schon viermal gesehen, heimlich, auf Video, und wir konnten die Dialoge mitsprechen, dabei sind Dialoge gar nicht so wichtig, sagt Leone selbst, wichtig sind Musik und Bilder, und eigentlich bräuchten die Leute gar nichts zu sprechen. Schon in seinem Film Zwei glorreiche Halunken war er an eine Grenze gegangen, indem er die Schauspieler so lange hatte schweigen lassen, dass die Zuschauer riefen: »Fangt doch endlich an zu reden!« Wir dachten trotzdem an die Dialoge, dachten daran, wie der gut-böse Bandit Cheyenne die schöne Jill einschüchtern will und ihr sagt, draußen warteten seine Männer darauf, dass er sie hereinrufe, Jill ihm aber nur höhnisch den Kaffee hinknallt und zischt: »Na los, rufen Sie sie rein! Mir macht das nichts aus. Ich werd schon nicht daran krepieren. Denn wenn’s vorbei ist, nehm ich mir einen großen Eimer warmes Wasser, und alles ist, wie’s vorher war: Dreckige Erfahrungen im Leben können nicht schaden!« Wir dachten an Jills Versuch, Mundharmonika zurückzuhalten, am Schluss des Films, dachten an ihren Süßwassersatz » Sweetwater wartet auf dich!« und an Mundharmonikas eiskalte Antwort: »Irgendeiner wartet immer!« Erst viel später verstanden wir diesen Satz, der fiel, kurz nachdem Frank und kurz bevor Cheyenne starb, erst viel später verstanden wir, dass Mundharmonika mit Irgendeiner keinen Menschen meinte, sondern den Tod.
    Meine Eltern waren nachmittags nie zu Hause, und nachdem wir den Film zum fünften Mal gesehen hatten, weihte Gregor Carsten ein und sagte ihm, was wir vorhatten.
    Carsten schluckte.
    Kommst du mit?, fragte ich.
    Carsten dachte lange nach, dann nickte er.
    Wir mussten noch sieben Stunden totschlagen, ehe wi r – jeder für sic h – aus den Häusern unserer Eltern schlichen und zur Jakobuskirche liefen. Gregor und ich kamen gleichzeitig dort an und grinsten. Kurz vor Mitternacht tauchte Carsten auf. Wir gingen los mit unseren langen, von den Vätern geklauten Leone-Mänteln, mit den schief sitzenden, großen Hüten, mit unseren vierzehnjährigen Köpfen voll vom soeben gesehenen Film. Gregor (Frank) hatte einen Karnevalsrevolver umgeschnallt, Carsten (Cheyenne) ein Bowiemesser dabei, wie er sagte, wir lächelten milde, denn es war nur ein großes, spitzes Fleischmesser aus der Küchenschublade, und ich (Mundharmonika) natürlich meine Mundharmonika. Ich konnte die Melodien längst auswendig. Ich spielte sie auf dem Weg und musste aufpassen, das Atmen nicht zu vergessen. Unser Ziel: der Friedhof.
    Wir kletterten über die Mauer. Taschenlampen wurden angeknipst. Wind zerrte an Bäumen und Sträuchern, auch an den Holzkreuzen, die leise knarrten, er rüttelte an den Schlössern und dem Gitter des Portals in unserem Rücken. Gregor hatte drei Stöckchen in der Hand. Es war ein abgekartetes Spiel, und Carsten, ohne es zu wissen, das Opfer.
    Wer das kürzeste zieht, gewinnt , sagte Gregor, halb ironisch.
    Und wir zogen.
    Ich erwischte das längste, das sah ich sofort. Carsten zog das zweitlängste. Das kürzeste blieb bei Gregor. Der grinste.
    Gewonnen , sagte er.
    Was?, fragte Carsten.
    Ich hab gewonnen, sagte Gregor. Ich darf bestimmen, wer es machen muss.
    Carsten schüttelte den Kopf und sagte: Ich hab gedacht, wer das kürzeste zieht, muss es machen.
    Quatsch, sagte Gregor, ich hab doch gesagt, wer das kürzeste zieht, gewinnt ? Oder, Simon?
    Und dann tat ich es. Ich nickte. Und sagte: Klar, war doch abgemacht. Wer das kürzeste zieht, gewinnt und darf bestimmen.
    Carsten zitterte plötzlich.
    Und Gregor sagte: Na, dann geh mal los, Carsten.
    Ich will nicht, sagte der.
    Du musst, sagte Gregor.
    Ich kann nicht, sagte Carsten.
    Du kannst, sagte ich und fügte hinzu: Ich wär auch gegangen. Wenn’s mich erwischt hätte.
    Sei keine Memme, sagte Gregor.
    Ist doch nichts dabei, sagte ich.
    Carsten blickte uns an. Seine Augen lagen in den Höhlen wie aufgebahrt. Vielleicht dachte er in diesem Augenblick, wenn er jetzt abhaut, wird er auf ewig der verdammte Dritte bleiben, wenn er es aber tun würde, wenn er wiederkäme und uns zeigte, was er getan hatte, würde er sich vielleicht einen neuen Platz erkämpfen und wir ihn in einem anderen Licht sehen, aber vielleicht dachte er auch nichts in diesem Moment.
    Du feige Sau, sagte

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