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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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ich und schubste Carsten. Er taumelte, fiel aber nicht.
    Komm, lass den Schlappschwanz, sagte Gregor und wandte sich ab.
    Wir machten einige Schritte zurück zur Mauer, als wir Carstens leise, quiekende Stimme hörten, in unserem Rücken.
    SchSchStop, rief er.
    Wir blieben stehen.
    Sahen uns seitwärts in die Verräterfressen.
    Ich spuckte aus, als hätte ich Kautabak im Mund.
    Wir kehrten zu Carsten zurück. Der zog sein Bowiemesser aus der Manteltasche und sagte: Ich mach’s!
    Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Toller Kerl, sagte ich und sah Carstens Augen zum letzten Mal strahlen.
    Wir stapften langsam in die Nacht, bis zur Gabelung am Grab von Guido Schwitters. Wir bogen ab nach links, an den Gräbern der Familien Linz, Schweighöfer, Tauschner vorbei Richtung Soldatenfriedhof. Ehe wir dorthin gelangten, blieben wir stehen. Noch ein Abzweig.
    Da drüben, sagte ich.
    Wir warten hier, sagte Gregor.
    Carsten nickte. Er schaute uns an. Ging weiter. Von jetzt an allein. Dort hinten schimmerte das Ziel, und wir waren froh, dass wir zusammen waren, Gregor und ich, zusammen und nicht allein. Allein wie Carsten.

20
    W as sind das für Mächte, die uns bedrängen? Die ihre Schatten über uns schütten? Die aus uns kommen, aber uns vorgaukeln, sie kämen von außerhalb? Die von uns Kindern Besitz ergreifen? Was sind das für Albträume? Auf-der-Stelle-Rennen, Nicht-fort-Können, leises Hinabschleichen, Treppe runter, und gerade, wenn man den rettenden Schritt tun will, ins Wohnzimmer, zu den Eltern, greift von hinten, aus dem Schlund des Flurs, etwas zu, fasst nach unserer Schulter und zieht uns unerbittlich in die dunklen Ecken, bis in die Waschküche, bis in den Keller, um etwas mit uns zu tun, von dem wir nicht wissen, was es sein wird, weil wir immer rechtzeitig aufwachen zum Glück, aber es ist etwas, wovor wir uns fürchten wie vor nichts sonst. Wer ist dieser Mann, der, wenn wir in der Nacht die Augen aufreißen, aus der Wand ins Zimmer tritt und vorm Bett stehen bleibt? Wir fürchten keine körperliche Gewalt, unsere Angst ist eine Angst, die sich weder klären noch erklären lässt, Angst vorm Löschen dessen, was nicht nur Körper ist.
    Carsten achtete nicht auf die neben ihm aufscheinenden Gräber, weder auf den Weg noch auf den Wind, der ihm unter den langen Mantel kroch und diesen leicht wölbte, achtete nicht darauf, dass seine Hände nass und seine Augen trüb wurden für die nächsten, alles entscheidenden Minuten seines Lebens. Er verließ Gregor und Simon, blickte sich nicht noch mal um, ließ sie hinter sich zurück, im Dunkeln. Und sah vor sich das Ziel. Er glaubte noch immer nicht daran, dass er es tun würde, er legte das Messer aufs Fenstersims, hievte sich mit beiden Händen hoch, sodass er auf dem Sims zu sitzen kam, packte das Messer, drehte es und schlug mit dem Knauf die Scheibe ein. Das alles rasch und ohne nachzudenken. Beim Geräusch des Splitterns hielt er den Atem an. Noch könnte er einfach runtersteigen und abhauen. Aber er wunderte sich, dass er überhaupt so weit gekommen war, nur noch ein Schritt, er überlegte nicht lange, wechselte das Messer in die Linke, zur Taschenlampe, griff mit der Rechten durchs Loch, öffnete das Fenster und stieg ein. Dort stand er und wollte atmen, konnte es aber kaum. Er befand sich in der Totenhalle.
    Aus Angst vorm Lebendig-begraben-Werden errichtet, um die toten Körper drei Tage lang zu beobachten und sicher zu sein, dass keine Lebenszeichen mehr festzustellen sind, damit endlich die blutigen Kratzspuren im Innern der Särge ausgemerzt werden, von Menschen, die, zu früh verscharrt, die Augen aufschlagen und sich in einer Kiste finden, aus der es kein Entrinnen gibt, die Totenhalle: ein Relikt, aus hygienischen Gründen aufrechterhalten. Es war kühl im Gebäude, eine kapellenartige Halle, dazu mehrere kleinere Räume, der Kegel der Taschenlampe zuckte über Klinken und Holz. Carsten konnte nicht schlucken, Enge im Hals, konnte kaum gehen, Schwindelgefühl, strich über die Nasenwurzel und blieb einen Augenblick stehen. Es näherte sich nichts. Er ging weiter. An der ersten Tür vorbei, er wusste nicht, was dahinter lag, er blieb in der großen Halle. Die nächsten Türen, links, dann rechts: Eine davon musste er öffnen. Irgendwann. Etwas in ihm sagte, dass er sich beeilen musste, um den Verstand nicht zu verlieren und so schnell wie möglich wieder draußen zu sein. Denn dann müssten seine Freunde rein. Carstens Aufgabe: das Messer in einen

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