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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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der Särge rammen, tief ins Holz; Simons und Gregors Aufgabe: das Messer wieder rausziehen. Carsten wusste nicht, woher er den Mut fand, aber irgendwann öffnete er eine Tür zu seiner Linken, betrat ein Zimmerchen, noch kühler als die Halle. Er hob seine Lampe. Dort lag etwas im Bett, der Lichtkegel erfasste das Gesicht der Toten, eine alte Frau, deren Augen geschlossen waren, aber den Eindruck erweckten, sie könnten jederzeit aufspringen. Carsten stürzte aus dem Zimmer, aber sein Kopf folgte ihm nicht mehr in dem, was er tat, sondern machte sich selbständig, gefüttert von allem, was er je in Nächten geträumt und in Filmen gesehen hatte: Sie richten sich auf, die Toten, werden lebendig, sie verlassen das Bett oder steigen aus dem Sarg. Carsten riss keine Tür mehr auf, denn überall würden sie liegen und auf ihn warten. Am Ende der Halle sah er zwei Särge auf dem Boden, Holz an Holz, Deckel an Deckel, Carsten lief hin, die Schöße seines Mantels wehten hinter seinen Schritten, den Hut immer noch auf dem Kopf, das Messer in der Rechten, die Lampe in der Linken, er legte die letzten Schritte zurück, suchte schon nach einem Ausweg, da, ein Fenster, links, er könnte danach dorthin laufen, es aufreißen und hinaus in die Freiheit springen. Schon war er bei den Särgen, schon hob er das Messer, der Stoß musste hart sein, damit das Messer stecken blieb, und er drehte sich im Stechen schon um, wollte gar nicht sehen, wohinein er stach, das Messer bohrte sich tief in den Sarg, und kurz hatte Carsten das Gefühl, es geschafft zu haben, aber dieses Gefühl zerbrach mit demselben Geräusch wie vorhin das Fenster: Denn Carsten wollte fortstürmen, aber konnte es nicht, er rannte auf der Stelle, schaute nicht zum Sarg, in den er das Messer gestochen hatte, schaute nur zum Fenster, hob den Arm, wollte hin, aber etwas hielt ihn zurück, unerbittlich, mit aller Kraft, eine Hand muss es sein, eine knöcherne, verfaulte Hand aus dem Innern des Sargs, den er entweiht hat, die Hand eines morschen Toten, und diese Hand klammert sich an ihn, Carsten kann nicht weiter, die Hand will ihn mit sich zerren, hinein in den Sarg, nach unten. Doch ehe das geschehen kann, stürzt Carstens Geist wie ein Kartenhaus zusammen, in den Strudel des Nichtbewusstseins, es klinkt sich alles, was er ist und werden könnte, aus, er fällt einfach hin, bleibt liegen, er ist in Sicherheit jetzt, nichts kann ihn mehr erreichen, noch nicht mal er selbst, der Schwindel, die Bewusstlosigkeit, das Ende, ein sicherer Ort, er kriegt nichts mit von dem, was ihm geschieht, die Toten, sie können jetzt machen, was sie wollen, es ist ihm egal, er hat sich fortgestohlen aus der Welt, er ist in einem luftleeren Raum, er hat ihn ausgeknipst, den inneren Lichtschalter, jetzt ist alles schwarz in ihm, jetzt ist er nur noch Körperblock.
    Simon und Gregor standen draußen und warteten. Etwa zwanzig Minuten. Wurden unruhig. Wussten nicht, was sie tun sollen. Also warteten sie. Noch mal zwanzig Minuten.
    Der ist abgehauen!, sagte Gregor.
    Aber sie wagten es nicht, einfach so vom Friedhof zu verschwinden, denn sie hatten das Klirren des Glases gehört, sie wussten, Carsten hatte die Scheibe des Fensters eingeschlagen, und wenn er das getan hatte, warum sollte er dann abhauen?
    Wir müssen hin, sagte Simon.
    Gemeinsam war es leichter. Sie machten sich auf den Weg. Sahen das zersplitterte Fenster und einige Fenster weiter ein Leuchten.
    Er ist drin, sagte Simon.
    Warum kommt er nicht raus?, fragte Gregor.
    Warum bewegt sich das Licht nicht?
    Was macht er da?
    Sie stiegen in die Totenhalle und hielten sich an den Händen, folgten dem Weg, den Carsten vorgelegt hatte, sahen eine aufgerissene Tür, schauten nicht hinein, und hinten, am Ende der Halle, da war das Licht. Sie näherten sich. Da stimmte was nicht. Die Taschenlampe lag auf dem Boden. Sie liefen hin, knieten sich zu Carsten, dort lag er, lang ausgestreckt, das Weiße der Augen zu sehen im Licht der Lampen, der Hut war ihm vom Kopf gefallen, die Haare klatschnass, Simon hörte ein Hecheln, sah Spucke vorm Mund, das Messer, das im Sarg steckte. Aber nicht nur im Sarg steckte das Messer, auch im rechten Mantelschoß. Im Umdrehen hatte Carsten sich selbst an den Sarg genagelt, hatte durch den Mantelschoß das Messer in den Sarg gerammt, und Gregor und Simon wussten sofort, was passiert war. Sie befreiten Carsten, der irgendwie selig lächelte, packten ihn, Simon nahm das Messer, Gregor Carstens Hut und Taschenlampe,

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