Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
brauchtest ein Jahr, um das alles aufzudecken? Es klingt, als hättest du ihre Schuld konstruieren müssen wie Corriano seine Holztaube.«
»Es schmeichelt mir, mit Eurem liebsten Künstler verglichen zu werden. Nun, ich bin so gründlich wie gnädig. Ganz wie unsere Prozessordnung es verlangt. Bis nach Köln musste ich meine Untersuchungen ausdehnen. Die Inquisition überlässt nichts dem Zufall.«
12
Wenig später bog Aleander in die Ladengasse Rua do Franco ein. Er wich fächelnden Damen aus, die sich in den Arkadengängen vor der Auslage eines Silberschmieds drängelten und beschleunigte seine Schritte.
Ein Maurenjunge, der aus einem Korb Mandelkuchen feilbot, sprang zur Seite, als er den hinkenden Inquisitor sah. Zwei Fuhrknechte, die Weinfässer entluden, starrten ihm furchtvoll nach. Ein Grüppchen Franziskaner wechselte tuschelnd die Straßenseite.
Aleander achtete nicht darauf. Das zähe Ringen mit dem Erzbischof hatte ihn ermüdet. Wie viel leichter hätte er diesen Sieg erringen können, wenn er nur laut hätte aussprechen dürfen, was er mit Leichtigkeit hätte beweisen können: Fadrique, der verehrte Hieronymit, stammte von Juden ab, Juden, Juden! Sein Großvater hatte in Toledo noch den Tempel besucht, das Pessachfest gefeiert und die Thora studiert. Nur unter dem Druck der Verfolgung hatte Fadriques Vater sich taufen lassen.
Doch das konnte Aleander schwerlich vortragen, schließlich war der Padre sein Onkel und Doña Rosalia, seine Mutter, eine getaufte Jüdin. Es zählte nichts, dass selbst König Ferdinand der Katholische, der 1492 die Vertreibung aller Juden aus Spanien beschloss, jüdischstämmig war. Es zählte nichts, dass der heilige Jakobus ebenso wie Jesus dem Volk Israels angehörte. Aleander kannte die Welt. Es gab auf ihr nur einen sicheren Platz: den auf der Seite der Verfolger. Und nun brauchte er Beweise für Fadriques Schuld.
Sein Atem ging kurz, als er am Steintor des Colegio de Fonseca, des ersten Universitätsgebäudes der Stadt, innehielt. Er pausierte bei einem plätschernden Springbrunnen und schöpfte sich eine Hand voll Wasser.
Hier hatte er oft mit Zimenes gestritten. »Nun, Aleander«, forderte Gabriel ihn in seinem Kopf heraus, »versuchst du noch immer die Existenz Gottes aus den Buchstaben des Alphabets zu beweisen?«
»Davon verstehst du nichts.«
»Niemand versteht etwas von Gott.«
»Wie kannst du es wagen!«
»Fadrique hat Recht: Gott ist unerforschlich, er ist dem Glauben vorbehalten so wie das Wissen und Forschen den Dingen dieser Welt. Der Höchste ist frei, absolut unabhängig, nicht den Gesetzen unseres Verstandes unterworfen. Er hätte die Welt auch ganz anders schaffen können, als sie ist. Er hätte sich, wenn es ihm beliebt hätte, mit der Natur eines Steines, eines Holzes vereinigen, ja als Esel zur Welt kommen können. Darum gibt es so viele Religionen. Menschen, die Bäume wie Götter verehren, einen Berg, die Quelle eines Flusses. Es ist alles denkbar, niemand und jeder hat Recht. Alle sind dem Göttlichen gleich nah und fern.«
»Das ist die ärgste Lästerei! Du würdigst unseren Papst und unsere Kirche hinab!«
»Oder den Buchstaben A! Den der Herr der Bibel so übrigens nicht kennen konnte. Er sprach hebräisch, Aleander, die Sprache der Juden. Aleph, Beth, Gimel ...«
»Schweig, oder ich zeige dich an! Ich zeige dich an!«
Kurze Zeit später hatte Zimenes sein Noviziat im Hieronymitenorden beendet, um in Paris Medizin zu studieren. Mit Unterstützung Fadriques, der ihn allen abtrünnigen Reden zum Trotz noch immer liebte wie einen Sohn. Wie einen Sohn! Dabei hatte er, Aleander, sich sein Leben lang mit der Theologie abgemüht. Hatte – dem Wunsch seiner Mutter folgend – auf sein Recht als Erstgeborener verzichtet und war nicht Ritter geworden wie sein Bruder, sondern Mönch. Nur um im Kolleg seines Onkels Fadrique wiederum einen »Bruder« an die Seite gestellt zu bekommen, der alle Herzen betörte. Er hätte der Liebling Fadriques sein müssen, nicht Zimenes, dieser Emporkömmling und Blender.
Doch Aleanders Arbeit, den Gottesbeweis aus dem griechischen Alphabet heraus, seine feingesponnenen Gedanken über das pyramidale Schweigen des Buchstaben A, hatte der Padre nur ungnädig zur Kenntnis genommen. »Aleander«, hatte Fadrique gemahnt, »Gott ist zu groß für unseren Geist. Du kannst ihn nicht deinen Ideen unterordnen. Er selbst ist die Idee, der wir uns nur staunend und fühlend nähern können. Gott ist ein Mysterium, entehre
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