Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
die Abtötung des eigenen Fleisches, Quälerei statt maßvoller Askese. Es ist eine ständige Selbstdemütigung. Von Gottes Liebe predigen sie nicht. Sie züchten Menschen wie Aleander.«
Sidonia schaute ihn sprachlos an. »Du glaubst, dass dieser Teufel sich selber hasst?«
»Mehr als ich ihn.«
»Warum?«
»Weil seine Mutter so wie ich von Juden aus Toledo abstammt.«
»Der Chefankläger der Inquisition ist Jude?
»Es ist ihm ein tief empfundener Makel. Er entdeckte es durch Zufall. Doña Rosalia hatte es ihm stets verschwiegen, schließlich war sie mit einem christlichen Ritter verheiratet. Aleanders Widerwille richtete sich zunächst gegen sich selbst – so hatte er es bei den Dominikanern und später an der Universität zu Paris gelernt. Nichts ist dort verhasster als das Volk Israels. Dann, als dieser Selbsthass unerträglich wurde, richtete er ihn gegen andere. Er will nicht brennen, sondern selbst Brandfackel sein und alles auslöschen, was an seine Schande erinnert.«
Verblüfft schnappte Sidonia nach Luft. »Aber wenn er von Juden abstammt, warum hast du ihn nicht einfach angezeigt oder wenigstens damit gedroht?«
Fadrique lächelte traurig. »Das verbietet mir mein Glauben.«
»Verfluchte Religion!«
Fadrique schüttelte den Kopf. »Verfluche nicht die Religion. Ich sprach von der Liebe.«
»Du liebst Aleander?« Sidonia wurde immer ratloser.
»Ich liebte ihn nicht genug.«
»Warum hättest du das je tun sollen?«
»Weil ich sein Vater bin.«
14
»Er träumt«, flüsterte der eine Dominikaner dem anderen zu und presste sein Ohr dichter an die Zellentür. Dahinter schlief Aleander. Im Gang herrschte Finsternis. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, der hinter dem Fenster über ihren Köpfen unterging. Selbst im August war Regen in Santiago de Compostela keine Seltenheit.
»Bist du sicher, dass er nicht betet oder zu Gott spricht?« »Der Löwe des Glaubens betet nicht, er erwartet, dass Gott zu ihm spricht!«
Entsetzt löste sich der andere Bruder von der kalten Steinwand. »Was redest du? Das ist Blasphemie!«
»Unser Bruder Aleander unterliegt nur seinen eigenen Gesetzen. Er hat die Matutin, das Gebet zur zweiten Stunde, versäumt! Er kam wieder einmal weit nach Mitternacht aus dem Konvent der Reuerinnen zurück.«
»Er hat als Inquisitor eine Sondergenehmigung.«
»Gleichwohl, ich habe es für den Erzbischof notiert!«
In der Ferne schlug die Glocke die vierte Morgenstunde. Durch die Zellentür ertönte erneut ein Strom unflätiger Worte. Aleander spie Wortkaskaden aus. Die Brüder erbleichten. Was sie hörten, waren monströse Bettträume voller Wollust, Flüche, Gottesschimpf, Fantasien blutigster Folter.
»Wir müssen ihn wecken«, raunte einer der Lauscher in das Dunkel des Ganges.
»Bist du dir sicher, dass er nicht bereits wach ist? «
Vorsichtig schoben die beiden Dominikanermönche den Riegel zur Seite, der das Guckloch in der Tür verschloss.
»Nein«, sagte der eine, »er schläft.«
»Und da heißt es, wer schläft, sündigt nicht«, scherzte der andere.
»Du Fotzenhut, Mistlader, Hurensohn, deine Haut werde ich dir in Streifen vom Leib schälen und dich in Öl dünsten«, kreischte in diesem Moment Aleander. Eine andere, weichere Stimme antwortete ihm. »Du willst mich beleidigen? Mich? Bedenke, ich bin Gott!« Auch diese Stimme gehörte Aleander! »Ein stinkender Auswurf bist du«, kreischte es wieder, »gezeugt aus dem faulen Samen Luzifers, ein Jude!« – »Ich bin geboren aus dem Schöße Mariens, dem Schoß einer Jungfrau. Ich bin Gott.«
Seine beiden Mitbrüder schlugen entsetzt die Luke zu.
»Müssen wir dem Erzbischof von den Träumen des Inquisitors berichten?«
»Notiere alles, aber behalte es für dich. Ich werde mich zurückziehen, um für Aleanders Seele zu beten. Bedenke, es ist noch nicht klar, wer von beiden in dieser Stadt an erster Stelle steht!«
»Aber doch gewiss unsere erzbischöfliche Gnaden!«
»Nur weil er uns für diese Horchdienste bezahlt, machst du ihn zu deinem Idol? Sei auf der Hut. Es heißt, Aleander hat gestern ohne Prozess ein Todesurteil gegen den Uhrmacher des Erzbischofs, Corriano, verfügt. Er tötet einen Liebling des Kirchenfürsten und des Kaisers. Der Löwe des Glaubens scheint unbesiegbar.«
»Zumindest hält er sich dafür«, murmelte sein Mitbruder. Sein Gegenüber schlug die Kapuze über seinen Kopf und huschte zur Kirche des Dominikanerklosters, in der ein Wechselgesang des Chors erklang.
Der
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