Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
kunstvolle Glocke in dem Tal, an die wundervollen Möbel, den herrlichen Jesus. »Mir gefiel vor allem die Christusfigur in der Kirche, sie verhieß so viel Frieden.« Sie stockte kurz, »und sie schien so lebendig.«
Fadrique nickte. »Auch ich liebe diese Figur, Meister Elia hat sie nach einem lebenden Vorbild geschaffen.«
»Gabriel Zimenes?«
Fadrique nickte wieder. »Ja. Wobei der friedvolle Ausdruck im Gesicht des Christus nicht ganz zum Vorbild passte. Gabriel war noch weit begieriger, die Welt jenseits des Tales zu erkunden, als Jona es ist. Ich hätte verhindern müssen, dass er nach Santiago kommt, aber Gabriel war ein so aufgeweckter Junge. Es war eine Freude, ihn zu unterrichten. Mit ihm zu streiten, seine Sehnsucht nach Wissen zu stillen! Er erinnerte mich an meine Jugendjahre in Toledo, als wir dem Verstand noch keine Fesseln anlegen mussten, weder die Christen noch die Juden oder Mauren ... Seine Seele sollte frei singen, so wie der Heilige Franziskus es predigt. Frei von Hass, erfüllt von Liebe zu allem Sein. Er war mein liebster Schüler und mein bester.«
Sidonia sah, dass Fadrique sich die Augen wischte. »Der Rauch«, sagte er rau. »Er beißt in den Augen.«
Er räusperte sich. »Nun, ich konnte ihn und seine Schwester lange Jahre schützen. Doch dann verliebte sich Mariflores in Adrian von Löwenstein. Sie wurde seine Mätresse.«
»Und du behauptest, dass Gott keine Fehler macht?«
»Trauerst du deinem untreuen Bräutigam nach? Wärst du gern die Frau Adrians von Löwenstein?«
Sidonia sog scharf die Luft ein. »Nein, aber diese Verbindung hat unendliches Leid über viele gebracht. Auch über mich.«
»Die Liebe ist nie ein Fehler, nur der Mangel an ihr. Die Liebe lehrt uns, über uns selber hinauszuwachsen. Sie offenbart uns das Geheimnis des Lebens, überdauert unseren Tod und schenkt uns eine Ahnung von der Ewigkeit. Es gibt nichts Größeres als die Liebe außer Gott, sie ist Teil von ihm. Oder denkst du anders? Gerade du?«
Sidonias Wangen begannen zu brennen. War es möglich, dass der Padre wusste, wie sie zu Gabriel Zimenes stand?
Fadrique seufzte und fuhr fort. »Als Aleander erfuhr, dass sein Bruder die unvermögende Mariflores und nicht dich heiraten wollte, entschloss er sich, die Familie Zimenes zu vernichten. Sein ehemaliger Mitschüler Gabriel war ihm ohnehin ein Dorn im Auge. Ich versprach Aleander, Santiago zu verlassen, wenn er Gabriel einen Geleitbrief in die Neue Welt ausstellen würde und Mariflores und Lunetta mit mir gehen ließe. Aleander sagte zu.«
»Warum?«
»Weil ich für ihn ein noch größeres Ärgernis bin als Gabriel. Ich stehe seinem Aufstieg im Weg und habe ihm manchen Ketzer entrissen. Ich konnte Mariflores jedoch nicht ausreden, nach Santiago zurückzukehren. Sie liebte den Ritter von Löwenstein mehr als ihr Leben.«
»Ich weiß«, sagte Sidonia leise. »Aber warum hast du Aleanders Machenschaften nicht aufgedeckt? Die Erzbischöfe sind doch auf deiner Seite.«
»Sie waren es und sind es insgeheim vielleicht noch. Doch mein Einfluss ist in den letzten Jahren gesunken. Inzwischen gibt es Kräfte in Spanien, die am liebsten Jesus selbst zum Spanier machen würden. In jedem Orden gibt es Brüder, die in alle Winkel lauschen, um judaisierende Fratres und Glaubensabweichler zu entdecken. Selbst die Hieronymiten sind von Spitzeln unterwandert. Euer Luther gibt ihnen unfreiwillig Auftrieb.«
Verwirrt runzelte Sidonia die Stirn: »Luther?«
Fadrique nickte. »Der Kaiser hasst ihn, und die römische Kurie, die Spanien bereits das Recht auf eine eigene Inquisition entziehen wollte, fürchtet diesen kleinen Mönch so sehr, dass sie unser Heiliges Offizium gewähren lässt. Überall malen unsere Inquisitoren das Gespenst der Häresie an die Wand. Vor diesem Hintergrund drohte Aleander mir, unserem Orden den Schutz zu entziehen und die Akten vieler unserer Novizen zu öffnen! Bedenke, wie viele Leben von uns abhängen, wir müssen sie mit allen Mitteln schützen.«
»So wie Abt Simuel.«
»Ein großer Mann.«
»Den ich in den Tod riss.«
Fadrique fasste sanft nach ihrer Schulter: »Oh Sidonia, du glaubst noch weniger an den freien Willen der Menschen als an die Güte Gottes. Unsere Helfer wissen, was sie riskieren. Aber es sind wenige. Die Saat des Hasses ist aufgegangen. Und am gefährlichsten sind jene, die sich selbst so sehr hassen, dass sie andere nicht gelten lassen. Leider erziehen einige Orden ihre Novizen zu diesem Selbsthass. Sie lehren
Weitere Kostenlose Bücher