Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Flämmchen und hielt es ins Holz. Sie stellte ihre Kupferpfanne in die Flammen und zerdrückte auf einem Stein Kichererbsen.
Fadrique schöpfte Wasser aus dem See und goss es in die zischende Pfanne. Als alle Vorbereitungen für ihr Frühstück getroffen waren, kauerten sie sich neben das Feuer und verfolgten den Tanz der Flammen. Der Morgen war Musik. Frösche quakten fast melodiös, hoch über ihnen verblassten die Sterne. Der Gesang der Bergvögel belebte das Gebüsch.
»Wer hat dich zu mir geschickt, Sidonia?«
Der Satz kam so unvermittelt, dass sie hochschreckte. Mit einem Schlag spürte sie, dass ihr Herz übervoll war. Sie hatte tausend Fragen, ungezählte Kümmernisse, die sie zu lange allein getragen hatte. War der Padre der Mann, dem sie vertrauen konnte? Gabriel hasste ihn. Genau wie Aleander, ja, sogar Elena aus dem Tal hatte sich gegen ihn gewandt. Andere verehrten ihn als Heiligen. Verwirrt schaute sie in das Gesicht des Greises, das unergründlich war.
»Deine Schwester Doña Rosalia schickte mich«, sagte sie schließlich.
Der Padre war zu vorsichtig, um Überraschung zu zeigen. »Du kommst also von Köln her. Ein weiter Weg, du musst einen guten Grund für eine so gefährliche Reise haben.«
Sidonia nickte. »Viele Gründe. Aber soweit es dich betrifft, geht es vor allem um Lunetta.«
Der Padre hob die Brauen. »Was weißt du über das Kind?«
»Das Mädchen kam eines Tages mit einem Gauklerzug nach Köln. Du hattest sie geschickt, nicht wahr?«
Fadrique bejahte. »Sie war in Spanien nicht mehr sicher und ich ein Gefangener des Klosters von San Zoilo. Ich hatte keine Wahl, als sie mit einem alten Gaukler, der mir verbunden war, fortzuschicken.«
»Nun, sie fand ihren Weg in unser Haus. Das Haus van Berck, wo deine Schwester seit einer Weile lebt.«
Padre Fadrique griff nach einem Stock und rührte in der Pfanne. »Dann bist du die Braut ihres verschollenen Sohnes Adrian.«
Sidonia nickte vorsichtig, dieser Mann wusste also einiges über ihr Schicksal. Sollte sie ihm alles erzählen? Alles über Aleander und seine Intrige?
Der Padre warf ihr einen kurzen Blick zu. »Was ist mit Lunetta?«
»Du weißt, wer Aleander ist?«
Padre Fadrique hielt im Rühren inne. Sidonia sah, dass sein rechter Mundwinkel zuckte, aber er nickte nur.
Sidonia holte tief Luft. »Aleander wollte das Mädchen aus Köln entführen. Sie konnte mithilfe Rosalias fliehen, aber der Mönch fing sie in Antwerpen ab. Nun hat er sie nach Santiago schaffen lassen, um ihr – wie ich fürchte – einen Prozess als Ketzerin zu machen. Ich konnte es nicht verhindern. Er hasst die Familie Zimenes bis aufs Blut. Er ...«
»Er ist und bleibt ein Teufel. Und ich Narr dachte, Lunetta sei bei Rosalia sicher«, fuhr Fadrique auf und warf den Stock mit Schwung ins Wasser. »Wenigstens das Kind wollte ich vor ihm retten!«
Er sprang auf und lief zum Wasser. Sidonia erhob sich zögernd. Schweigend verfolgten sie das immer neue Schauspiel eines Sonnenaufgangs, der die Berge in aprikosengelbes Licht tauchte.
»Warum bist du hergekommen?«, fragte Fadrique und blickte starr auf den See.
»Das habe ich doch schon gesagt, Doña Rosalia schickte mich. Wir hofften, dass Lunetta zu dir zurückfinden würde, ich wollte dem Kind helfen ...«
»Wen oder was verfolgst du wirklich? Warum konntet ihr Lunetta nicht in Köln vor Aleander schützen? Deine Familie ist mächtig.«
Sidonia war empört über den Vorwurf. »Wie kannst du so mit mir reden! Wenn du wüsstest, was Aleander meiner Familie angetan hat! Meinen Bruder hat er beim Tribunal angeklagt, meinen Vater um ein Vermögen erpresst und Gabriel Zimenes ...«
Der Padre wirbelte herum. »Was weißt du über Gabriel?«
Sidonia erwiderte seinen Blick zornfunkelnd. »Ich weiß, dass er dich hasst.«
Der Padre schloss die Augen. »Das befürchtete ich. Er wird mir anscheinend nie verzeihen.«
»Wohl kaum. Er ist tot«, sagte sie tonlos.
Fadrique schwankte, Sidonia griff nach seinem Arm. Seine Erschütterung war nicht zu übersehen. Der Padre strich sich mit der Hand über das Gesicht.
»Tot? Aber, nein, unmöglich. Ich bekam Nachricht, dass er den Untergang seines Schiffes vor der spanischen Küste überlebt hat. Es hieß, er sei nach Köln aufgebrochen. Ich hoffte, er würde sich um Lunetta kümmern.«
»Er war in Köln«, sagte Sidonia, »aber Gott und ihm selber gefiel es, sich ein zweites Mal den Gefahren des Meeres auszusetzen. Er ist ertrunken.«
Fadrique schaute sie fragend an.
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