Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Zögernd erzählte Sidonia die Geschichte der Negrona und von Gabriel Zimenes’ Entschluss, in den Tod zu gehen, um die Passagiere zu retten, anstatt durch Aleanders Hand zu sterben. Fadrique warf hin und wieder eine Frage ein. Was Sidonia mit Zimenes und Aleander verband, schien er nicht wissen zu wollen. Am Ende stieß sie ein bitteres Lachen aus.
»Was für ein Gott ist das, der einen Menschen erst errettet, um ihn dann umso grausamer zu verderben? In dem Wissen, dass seine Schwester durch die Teufeleien des Mannes starb, der nun seine Nichte töten will und der mich ...« Sie brach ab und schluchzte. Nein, das hatte Gabriel Zimenes nicht gewusst. Er hatte sie zuletzt sogar für die Geliebte des Mönchs gehalten. Schlimmer als eine Hure.
»Gott macht keine Fehler, das besorgen wir Menschen allein«, sagte Fadrique knapp.
»Doch«, begehrte Sidonia auf, »Gott macht Fehler, wie kann er Gabriel sterben und einen Teufel wie Aleander leben lassen? Verabscheust du Gabriel Zimenes so sehr, dass du seinen Tod begrüßt? Nur weil er es wagte, an der Existenz eines Gottes zu zweifeln, der so erbarmungslos ist?«
Fadrique schwieg einen Moment. Dann seufzte er.
»Die Fähigkeit zu zweifeln war immer Gabriels größte Begabung und gleichzeitig sein ärgster Fluch. Ich war mir sicher, dass der Herr Großes mit ihm vorhatte. Er hat also den Märtyrertod gewählt.«
»Ist das deine Religion? Dann denke ich wie Gabriel Zimenes. Diese Religion ist Blendwerk, hohl und frei von Liebe und Barmherzigkeit.«
»Mein Kind, er ging aus freiem Entschluss.«
»Das will ich nicht glauben!«
»Du weißt es. Die Entscheidungsfreiheit eines Menschen war Gabriel Zimenes’ höchstes Glaubensgut. Und glaube nicht, dass mein Schmerz geringer wiegt als deiner: Ich liebte Gabriel mehr als meinen eigenen Sohn!«
Sidonia schaute den Padre angewidert an. »Und darum hast du Gabriel gegen seinen Willen in die Neue Welt verbannt? Darum hast du zugesehen, wie man Mariflores verbrannte, hast Lunetta alleine auf Reisen geschickt?«
Brandgeruch wehte zu ihnen herüber. Der Padre lief zum Feuer, trat die verkohlte Pfanne zur Seite und schaufelte mit den Händen Sand über das Geschirr.
Ruhig erhob er sich. »Ich wäre mit Freuden für Gabriel und auch für Mariflores in den Tod gegangen. Ich habe mich vor dem Heiligen Offizium zur Ketzerei bekannt, um sie zu retten, aber daran war Aleander nicht interessiert. Er drohte vielmehr, die Akten über die Familie Zimenes neu zu öffnen.«
»Ist Gabriel Jude?«
Der Padre schüttelte den Kopf. »Nein, aber das spielt keine Rolle. Seine Mutter, eine reiche galicische Witwe, wurde als Hexe verbrannt. Ein Nachbar hatte ein Auge auf ihre Ländereien geworfen. Als sie sich weigerte, ihn zu heiraten, griff er zum Mittel der Denunziation, um sich ihr Vermögen zu sichern. In Galicien ist der Hexenglaube weit verbreitet. Vor ihrem Tod übergab sie mir ihre Kinder.«
»Warum?«
»Die Hieronymiten sind bekannt als ein Orden, der getauften Juden Unterschlupf gewährt. Da die Hälfte des kastilischen Adels Judenstämmlinge zu seinen Ahnen zählt, ließ man uns jahrelang gewähren. Die Erzbischöfe von Santiago hielten ihre Hand über uns. Spaniens Bischöfe besitzen das Privileg, den conversos die Beichte abzunehmen und ihnen Absolution zu erteilen. Danach hat die Inquisition keine Macht mehr über sie, selbst wenn sie dem jüdischen Glauben weiterhin heimlich anhängen.«
»So wie du?«, fragte Sidonia.
»Nein. Mir gilt jeder Glaube gleich viel, der die Gesetze der Liebe achtet. Gott fragt nicht nach Taufe oder Beschneidung. Nun. Vornehme hidalgos brachten ihre Söhne bei uns unter, um sie vor Verfolgung zu retten. Ich nahm viele Waisen von Verfolgten auf und schickte sie in das Tal, das du kennst. So wie Gabriel und Mariflores.«
»Doch sie kehrten zu dir zurück nach Santiago!«
Fadrique nickte. »Du hast den ungestümen Jona kennen gelernt. Die Kinder der Verfolgten kennen die Gräuel der Vergangenheit nur aus Erzählungen. Es drängt sie hinaus, auch darum, weil die meisten ihrer Familien nicht wirklich Bauern sind. In Toledo und anderen Städten waren sie einst angesehene Handwerker, Wissenschaftler und Künstler. Sie haben gelernt, sich mit einem geruhsamen Leben zu bescheiden und ihre Talente zu nutzen, ohne nach dem Ruhm der Welt zu schielen. Aber die Kinder ... Einige verstehen nicht, dass es besser ist, für eine bescheidene Sache zu leben, als für eine große zu sterben.«
Sidonia dachte an die
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