Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Holz der Balken ab, an die er gefesselt war. Sein Kopf lag auf der Seite, seine Augen waren geschlossen.
»Gabriel!« Sidonia riss sich den Schleier vom Kopf und war mit wenigen Schritten bei ihm. Sie streckte die Hände nach seinen Fesseln aus, doch Estrella riss sie grob zurück.
»Nun, gefällt dir, was du siehst?«
Sidonia schrie auf, als Aleander aus der Dunkelheit hinter dem Kreuz hervortrat. Zwei Schwestern stützten ihn, seine Haut war wächsern, seine Augen fiebrig, Schweiß stand auf seiner Stirn. »Bist du bereit zur unio mystica mit deinem dir von Gott bestimmten Gemahl?«
Sidonia schluchzte auf. »Du hast ihn getötet! Du Bestie, du Satan!«
Aleander lachte. »Für so gnädig hältst du mich?«
Er griff nach einem Pfeil, näherte sich hinkend dem Kreuz und fuhr mit der scharfen Spitze über einen Fuß des Gekreuzigten, bis Blut hervorquoll. »Kennst du die Bilder der Leiden Christi nicht? Dieses ist noch lange nicht vollendet.« Er umklammerte den Pfeil fester und strich damit über Gabriels Rippen, prüfte die Festigkeit der Haut, als suche er nach der geeigneten Einstichstelle.
»Gabriel, Gabriel«, schrie Sidonia voller Verzweiflung und versuchte Estrella von sich abzuschütteln, die sie von hinten umfing. Sie sah, dass Gabriels Lider sich bewegten. Aleander ließ den Pfeil sinken und drehte sich zu ihr um. Sidonia atmete erleichtert auf, Aleander betrachtete sie kalt.
»Der Tod wäre eine Gnade gegen das, was ich noch mit ihm zu tun vermag. Der Grieche Seneca schrieb: Mag nun den Hals eine Schlinge zudrücken, mag den Atem Wasser absperren, was immer es ist, es geschieht rasch. Schämt ihr euch nicht? Was so schnell eintritt, fürchtet ihr so lange! Dieser Heide hatte keine Ahnung davon, wie qualvoll man das Sterben zu gestalten vermag. Gebt mir die Nägel.«
Estrella kicherte. Sidonia kämpfte sich von ihr frei und sank auf die Knie. »Ich bitte dich, quäle ihn nicht.«
Aleander hob eine Braue. »Ihn quälen? Oh, darum geht es mir nicht. Nicht an erster Stelle jedenfalls. Hier geht es um dich!«
»Dann töte mich!«
Aleanders Lächeln vertiefte sich. »Du hast mich immer noch nicht verstanden, ein einfacher Mord wäre Verschwendung.«
»Was willst du von mir?«
»Das, was ich immer von dir wollte.« Sidonia riss voller Entsetzen die Augen auf. »Hingabe!«
Aleander schaute zu Gabriel empor. Der legte den Kopf zur anderen Seite, murmelte etwas, schien zur Besinnung zu kommen.
»Padre Fadrique hat ihn einen großen Arzt genannt. Leider bin ich keiner. Ich hätte ihm wohl eine geringere Dosis seines wundersamen Pulvers aus der Neuen Welt verabreichen müssen. Zu schade, wenn er nicht mehr zur Besinnung käme.«
»Du hast ihn vergiftet?«
»Oh, Sidonia, du begreifst nichts von der Größe meines Geistes.« Er wandte sich zu einer Gruppe von Nonnen, die im Hintergrund standen. »Gießt Wasser über ihn.« Mit klatschendem Geräusch entleerten die Frauen einen Eimer über Gabriel. Ein Zittern ging durch seinen Leib.
Aleander hinkte auf Sidonia zu, er streckte die Hand aus und streichelte ihre Wange. Sie zuckte zurück und spürte, dass Estrella von hinten ihre Hände um ihren Hals legte. Die Frau besaß erstaunliche Kräfte, ihre Hände glichen Schraubstöcken, Sidonia keuchte.
»Wir werden anscheinend noch eine Weile plaudern müssen, bis er erwacht, Sidonia.« Er ließ einen Finger über ihren Mund gleiten. »Erinnerst du dich noch an unsere erste Nacht? Dein Betragen kam aufrichtiger Hingabe recht nahe, doch mit dem Herzen warst du bei einem anderen. Immerhin hast du genug für mich empfunden, um mich später töten zu wollen. Keine Frau hat mir je so viel Vergnügen bereitet.«
Sidonia bemerkte, dass Estrellas klammernder Griff um ihren Hals für einen Augenblick nachließ. Dann pressten ihre Hände mit wütender Kraft zu. Sidonia spürte, dass ihr die Luft wegblieb, ihr wurde schwarz vor Augen.
»Was fällt dir ein?«, brüllte Aleander und schlug Estrella hart ins Gesicht. Die Nonne taumelte und fiel nach hinten. Sidonia rang nach Atem, rieb sich die Kehle und sprang auf die Füße. Mit einem Satz war sie bei der Tür, riss sie auf.
»Willst du wirklich deine eigene Hochzeit verlassen?«, fragte der Dominikaner höhnisch. »Nur zu. Ich halte dich nicht auf.«
»Lauf, Sidonia«, erklang eine heisere Stimme in seinem Rücken. »Rette dich!«
Sidonia wirbelte herum.
»Oh«, sagte Aleander erfreut. »Dein Bräutigam scheint erwacht. Und so munter. Er wird von nun an alles
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