Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
doch auf ewig gleich, sie war kein Himmelreich, und Glück hatte nur, wer an der Spitze stand – so wie das Haus van Berck. Der Weg dorthin war schwer genug gewesen.
Sie schleuderte das Buch durch das Zimmer. Lambert war ein Taugenichts. Er hatte alle Freiheiten und ein eigenes Leben, sie konnte das ihre nur heiraten, obwohl ihr Verstand weit schärfer als der des Bruders war.
»Gebe Gott, dass Adrian von Löwenstein mir ein aufregendes Schicksal zum Brautgeschenk macht.«
Ein klagender Laut war die Antwort. Sidonia drehte sich zu Lunetta, die mit Tränen in den Augen vor ihrem Bett stand.
»Lunetta! Hast du meine Worte verstanden? Willst du mir etwas sagen? »
Lunetta nickte heftig und deutete immer wieder auf die Karte mit dem Hohepriester.
»Ich weiß, mein Kind, ich muss Lambert vor den Priestern schützen.«
Lunetta deutete mit dem Finger auf Sidonia.
»Ja, gewiss, und mich auch.«
Hatte das Kind böse Erfahrungen mit Kirchendienern gemacht? Rührte daher ihre tiefe Traurigkeit?
»Keine Bange, mir kann kein Mönch etwas anhaben und dir auch nicht, ich passe auf dich auf.«
Sidonia nahm das Mädchen in die Arme. Es benötigte Trost und Zuspruch. Genau wie ich, schoss es Sidonia durch den Kopf. Seltsam, wie verzagt sie die Dummheiten des Bruders machten. Schluss damit. Heute würde sie der Mittelpunkt eines Festes sein, das den Beginn eines neuen Lebens bedeutete. Und endlich, endlich den Ritter sehen.
Einer Eingebung folgend lief sie zur Fensterbank und griff sich den Kartenstapel.
»Zieh mir noch eine Karte, Lunetta, ich will wissen, was mir der heutige Abend bringen wird.«
Widerwillig wählte das Mädchen eine Karte und drehte sie um. Sidonia klatschte in die Hände, als sie ein nacktes Paar erkannte, das Hand in Hand unter einem Engel stand, der segnend die Arme ausbreitete. » Los enamorados! Das heißt ›die Liebenden‹! Ich wusste es, ich wusste es. Ich werde meine Liebe finden! Der Ritter wird mein Herz entflammen.«
Lunetta senkte verwirrt und verzweifelt den Kopf.
14
Zwei Dutzend Fackeln tauchten den Hof des van Berck’schen Anwesens in Licht. Das Pflaster hatte der Kaufmann nach türkischer Sitte mit Teppichen belegen lassen. Teppiche! Auf dem Boden statt an den Wänden – wo gab es so was? In Venedig, aber nicht in Köln. Ein Spalier aus Pfingstrosen überdachte den Weg zum Wohntrakt und parfümierte die Abendluft.
»Spero invidiam« – ich hoffe, beneidet zu werden – stand in goldenen Lettern über dem Flügelportal, das ins Haus führte.
Von den Fenstern hingen Fahnen herab. Darunter ein seidenes Banner mit dem Wappen der Löwensteins. Eine Geldstrafe wegen Übertretung der Luxusgesetze war dem Rüstungskaufmann sicher. Darüber waren sich die Ratsherren Rinkenpfuhl und Schlosstedt beim Spaziergang über den Hof einig.
Sie hatten eben eine Unterredung mit dem Hausherrn über Claas’ heimliche Importe niederländischen Pulvers in den Weinfässern eines Klosters beendet. Ein frecher Fall von Schmuggelei, mit der sich Wegezölle und Steuern umgehen ließen.
»Der Mann ist zu dreist«, zischte Rinkenpfuhl seinem Kollegen zu und nippte an einem Pokal Malvasier. »Unterwandert alle Einfuhrgesetze und scheut sich nicht, die Früchte seiner Betrügereien zur Schau zu stellen!«
Schlosstedt nickte bedächtig. »Immerhin lässt er der Stadt einen Anteil an seinen Gewinnen zukommen. 100 Goldgulden in Schuldverschreibungen, so viel hätte uns der Zollanteil auf das Pulver nicht eingebracht. Wir müssen an Kölns Gemeinwohl denken, die Zeiten sind schlecht.«
»Nicht für Claas van Berck«, schäumte Rinkenpfuhl, »schau dir seine Tochter an.«
Sidonia stand in einem roten Brokatgewand vor dem Hauptportal und begrüßte die Gäste. Ihr Mieder war so geschnürt, dass ihre Brüste wie auf einem Balkon ausgestellt schienen. Die neueste Mode bescherte Frauen eine Taille und betonte die Formen des Leibes. Ein Adelsfräulein – das sie noch nicht war – hätte das Tragen eines so freizügigen Kleides wagen dürfen – oder eine Hure. Neben Sidonia stand ein Mädchen in einem Kostüm, das an höfische Possenreißer erinnerte. Man konnte die Nachahmung von Adelssitten auch übertreiben.
Rinkenpfuhls Miene wurde grimmig. »Es ist zu widerwärtig, dass wir mit diesem Prahlhans um Abgaben feilschen müssen. Wer weiß, was er noch alles auf dem Kerbholz hat.«
Schlosstedts Stimme sank zu einem Flüstern herab: »Der Gewaltrichter verriet mir, dass im Zusammenhang mit dem Pilgermord ein
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