Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
stießen Sidonia und Gabriel zugleich hervor. Zu Sidonias Erstaunen war Zimenes’ Stimme mit einem Mal unangenehm scharf. Es schien gefährlich, ihn zu verärgern.
»Wo ist der Mönch?«, fragte sie ihren Vater.
»Er wollte zunächst mit Doña Rosalia sprechen und ist die Hintertreppe hinaufgegangen. Wir werden uns gedulden müssen.«
Sidonia raffte ihr Kleid, doch bevor sie in Richtung von Doña Rosalias Zimmer entwischen konnte, schob Claas van Berck sie und Zimenes in den Festsaal. Stimmengewirr und das Spiel der Musikanten empfing die drei.
Einige Gäste glaubten, dass es sich bei Zimenes um den Ritter handeln müsse. Seine Erscheinung war vornehm genug. Man verneigte sich in seine Richtung, einige Damen versanken im Hofknicks. Sidonia schlug nach Zimenes Arm, als dieser die Verbeugungen besonders hoheitsvoll beantwortete. Was war dieser Mann für ein Aufschneider und Betrüger! Und ärgerlicherweise stand sein Stolz ihm auch noch gut.
16
Mit ungläubigem Blick saß Doña Rosalia von Löwenstein auf ihrem Bett und studierte im Licht einer Altarkerze ein Pergament. Ein Wachssiegel hing von dem Schriftstück herab. Es trug das Wappen der Pilgerstadt Santiago de Compostela samt Jakobussarg und Himmelsstern. Abwartend stand Lunetta vor ihr.
Rosalia schaute zu Lunetta, dann wieder auf das Schriftstück. Ihre rechte Hand zitterte.
»Tatsächlich. Das ist Fadriques Unterschrift«, murmelte sie. »Padre Fadriques Unterschrift und die meines Sohnes.« Sie schlug die Hand vor ihren Mund. »Adrian ist also bereits verheiratet!« Lunetta nickte.
»Und du bist also ...«
Ein Klopfen unterbrach sie. Lunetta verbarg sich hinter einem Bettvorhang. Doña Rosalia hob die Kissen ihres Bettes und wollte das Pergament verstecken, als eine Stimme sie herumfahren ließ.
»Guten Abend, Mutter!«
»Du?«
Der Dominikaner, der in der Tür stand, lächelte. »Hast du jemand anderen erwartet?«
Lautlos schloss er die Tür, streifte die weiße Kutte ab und präsentierte sich in einem Samtgewand, auf dem das Wappen der Löwensteins prangte. Er drückte sich eine Kappe auf die Tonsur und glitt tiefer ins Zimmer.
»Gefalle ich dir so besser?« Sein Lächeln erstarb, als sein Blick an einem Altar hängen blieb, den eine Madonnenstatue und ein Krug mit grünem Weizen schmückten.
Er riss das Getreide aus dem Krug und zerriss es: »Weizen an Pfingsten? Hast du noch immer die verwerflichen Sitten deiner Vorfahren? Feierst du Schawuot?«
Doña Rosalia erhob sich. »Meister Siebenschön, mein Arzt, brachte mir den Weizen, er ist ein Freund ...«
»Er ist ein Jude! Ein Jude. Du musst verrückt sein, Mutter, oder eine unbelehrbare Ketzerin!«
»Du weißt, dass ich getaufte Christin bin!« Doña Rosalia schlug schwach das Kreuz.
Lunetta wollte sich zur Tür stehlen. Der Dominikaner entdeckte sie, packte sie hart im Genick und versetzte ihr eine Ohrfeige.
»Nun, wer das hier ist, scheinst du bereits zu wissen, nicht wahr, Mutter?«
Die Witwe umkrallte das Pergament. »Wenn diese Heiratsurkunde echt ist, dann ist dieses Kind meine erste und einzige Enkeltochter!«
Der Mann in der Hoftracht schloss seine Hände fest um Lunettas Kehle. Das Mädchen schlug mit den Armen um sich.
»Leider ist diese Urkunde so echt wie die Kopie in Padre Fadriques Klosterarchiv von Santiago de Compostela. Aber die Folgen dieser Torheit werde ich beheben. Kein Bastard wird je den Namen von Löwenstein tragen.«
Weiß hoben sich seine schlanken Finger vom Hals Lunettas ab, während das Gesicht des Mädchens eine ins Blaue hineinspielende Farbe annahm.
Doña Rosalia schrie auf. »Du Teufel!«
17
Die Festgesellschaft stieß Laute des Entzückens aus, als ein Zug von Hilfsköchen die Gerichte des dritten Gangs hineintrug. Fisch und Geflügel. Begleitet wurde ihr Auftritt von der melodiösen Stimme des Küchenchefs, der in höfischer Manier die Namen der Gerichte ausrief.
»Poisson d’or.«
Mit Blattgold überzogene Aale, Lampreten und Barsche lagen auf einem Bett aus blau gefärbten Flussmuscheln. Es folgten kandierte Wachteln und mit Ingwer gespickte Hühner auf Tragbrettern, daneben Schüsseln mit Kohl, Mangold und Rüben.
Der Küchenchef holte Luft: »Et maintenant, paon rôti à la mode de roi.« Der nach Königsart gesottene Pfau war ein Augenschmaus besonderer Art. Man hatte ihm nach der Zubereitung sein Federkleid wieder aufgesteckt, die Augen durch Bernsteine ersetzt und den Schnabel mit Krapplack rot überzogen. Der Vogel wurde an der
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