Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
zusammen, der eben in die Kirche trat. Zornbleich schaute sie auf und starrte in zwei wohlbekannte Augen.
5
Sie promenierten am Hafenkai entlang. Ein spanischer Degenträger und ein Jüngling, der sein Page hätte sein können. Ein gefälliges Paar, dem die Blicke von Mägden so sehnsüchtig folgten wie die der Bürgersfrauen. Jedes Mal, wenn Gabriel Zimenes Sidonia ansah, musste er gegen seinen Willen schmunzeln.
Die Beinkleider und das Samtwams standen ihr gut. Sie trug das Barrett so tief in der Stirn, dass es ihre helle Haut verschattete. Nie war ihm eine Frau von solcher Keckheit begegnet, oder handelte es sich doch nur um die Leichtfertigkeit eines verzogenen Kindes?
»Du bist ein appetitlicher Kerl, Lambert van Berck.«
Sidonia runzelte die Stirn. »Wenn dich jemand hört, könnte er meinen, wir seien Anhänger des verkehrten Amors.«
»Und solche Sünde wäre dir als fromme Kirchgängerin ein Gräuel! Männer, die einander lieben. Nein, das darf es nicht geben unter der Sonne, und es gibt es doch, glaube mir. Gerade auf Schiffen und im Schiff der Mutter Kirche.«
Sidonia fand seinen Blick beunruhigend. Zimenes lächelte, aber seine Augen machten nicht mit. Sie schluckte und schaute einer Möwe nach, die herabstach, um sich einen Hering aus einer Schubkarre zu stibitzen.
»Lass uns das Thema wechseln, mich interessiert weder die Liebe zwischen Männern und Frauen noch die zwischen Männern und Männern.«
Zimenes verneigte sich. »Ich vergaß, dass dein Herz unberührbar ist und dass du mittellose Frauen, die mit allen Sinnen einen Mann lieben, für Huren hältst.« Herrje, was trieb ihn zu diesem Geplänkel? Sie war ein törichtes Kind, mehr nicht. Hübsch, aber unbedeutend. Was wusste sie schon von der Liebe? Nichts, auch wenn ihr voller Mund die Begabung zur sinnlichen Lust versprach. Ach was, törichte Kinder gaben einem törichte Gedanken ein. Gabriel Zimenes zwang sich, den Blick von ihr abzuwenden.
Er sah nicht, wie Sidonia errötete: »Verzeih mir meine Worte gegen deine Schwester, ich bin nicht unberührbar, im Gegenteil, ich ...«, sie brach ab. Sie wollte Zimenes nicht ihre wahre Not verraten. Die letzten Tage hatten sie gelehrt, niemandem zu vertrauen. Man konnte keinem Menschen hinter die Stirn blicken, und schon gar nicht Gabriel Zimenes. Doch sie musste sein Vertrauen gewinnen, wenn sie seine Hilfe wollte.
»Wie kommt es, dass du hier bist? Ich hörte, die Delegation zum Kaisers reist erst in zwei Wochen von Köln ab«, fragte sie wie beiläufig.
»Ich habe meine Dienste als Dolmetscher aufgekündigt. Und falls du dir noch immer Sorgen um mein Auskommen als kleiner Quacksalber machst, so tröste dich, ich bin als Schiffsarzt untergekommen. Ein schlecht bezahltes Geschäft, aber es gibt Wichtigeres als Geld.«
Sidonia biss sich auf die Lippen. Gabriel Zimenes hatte ihre lächerlichen Worte über seinen niederen Stand nicht vergessen. »Es tut mir leid, was ich über dich gesagt habe. Ich bin nicht so gefühllos, wie du glaubst, aber wer in dieser Welt zu viel Herz besitzt, ist ein Narr!«
»Oder ein Heiliger, was das Gleiche ist, pflegte mein Lehrer Fadrique zu sagen.«
Sidonia umklammerte Zimenes’ Hand. »Fadrique? Meinst du Padre Fadrique?«
Spielerisch verschlang Gabriel seine Finger mit den ihren und zwang sie auseinander.
»Du hast die bedauerliche Angewohnheit, mich in der Öffentlichkeit unziemlich anzufassen. Lass los, bevor die beiden Hübschen da vorne vor Schreck das Gleichgewicht verlieren.«
Er deutete mit dem Kopf in Richtung zweier Milchmägde, die auf Tragjochen schwappende Eimer übers Pflaster trugen.
Sidonia ließ Zimenes los. Sie hasste diesen Kerl, wenn er auf ihre Kosten spottete, und noch mehr hasste sie es, dass sie ihm so oft Gelegenheit dazu gab. Er behandelte sie wie ein albernes Mädchen. Doch das war sie nicht mehr.
»Lenk nicht ab. Was weißt du von Padre Fadrique? Ich muss ihn finden! Er könnte wissen, ob Adrian noch lebt und wo er sich aufhält.« Das hatte Doña Rosalia gesagt.
»Immer noch auf der Jagd nach dem Ritter? Aber warum in dieser Verkleidung?«
»Ich musste mich aus Köln fortstehlen, weil ...«, Sidonia biss sich auf die Lippen, dann fand sie eine Geschichte, die als Begründung herhalten konnte, ohne etwas von ihrer eigenen Lage zu verraten.
»... weil mein Bruder in Not ist. Man hat ihn wegen Ketzerei verhaftet. Das Vermögen meines Vaters wurde beschlagnahmt. Er darf die Stadt nicht verlassen. Nun ruht all unsere Hoffnung
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