Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Gefühle in Ehren, aber ich denke, du irrst dich. Wenn er gottlos in dem Sinne ist, dass er die Menschen und das Gesetz der Barmherzigkeit verachtet, sie zerstört, statt ihnen zu dienen, und sich für einen Meister des Schicksals hält, dann ...«
»Du zeichnest ein genaues Bild von einem Mönch, den ich kenne«, entschlüpfte es Sidonia.
Zimenes schaute alarmiert auf: »Ein Mönch? Wen meinst du?«
Sidonia fasste nach einem salzfeuchten Tau, das um eine Mole gewunden war, und schalt sich für ihre Unbedachtheit. »Das tut nichts zur Sache. Mein Bruder jedenfalls schwärmt von Luther und der Wahrheit des Wortes.«
»Armer Kerl, er wechselt einen uralten Irrtum gegen einen neuen Wahn und tauscht einen faulenden gegen einen lecken Kahn.«
»Du redest schon wieder leichtfertig vom Glauben!«
»Ich nehme den Glauben aller Menschen ernst, nicht ihre Kirchen.«
Sidonia stemmte die Hände in die Hüften: »Mir ist dieses religiöse Gezänk zuwider! Warum darf nicht jeder auf seine Weise selig werden?«
Der Degenträger betrachtete sie mit echter Aufmerksamkeit. Dieses Gespräch nahm eine merkwürdige Wendung. »Das ist eine kluge Frage!«
Natürlich hatte dieses Kind keine Ahnung davon, wie tief greifend der Religionsstreit das Schicksal der Welt veränderte, aber ihr naiver Zorn war erfrischend.
Sidonia ärgerte sich über Zimenes’ überraschten Ton und registrierte zugleich seine Ernsthaftigkeit. Sie wusste, dass er diese Seite seines Charakters gewöhnlich gut verbarg. War er ein Ketzer, der prüfen wollte, ob sie zu den Hochverrätern gehörte? Das wäre ihre Chance, sein Vertrauen zu gewinnen! Diese Verschwörer schienen sehr aneinander zu hängen.
»Zimenes, ich brauche deine Hilfe. Ich muss auf ein Schiff nach Spanien und habe nicht genug Geld für eine Passage. Mein Bruder darf nicht sterben. Nur darum brauche ich Geld. Bitte glaube mir. Es geht um Leben und Tod.«
Zimenes’ Miene wurde noch ernster, er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Falls du ebenfalls der Ketzerei angeklagt bist, dann rate ich von Iberien als Fluchtpunkt ab. Nirgends verfährt man erbarmungsloser mit Ungläubigen. Man richtet dort sogar Träume und Kinder hin.«
»Ich muss dorthin, selbst wenn es mein Leben kostet! Wenn ich hierbleibe und nichts unternehme, wird meine ganze Familie untergehen.«
Gabriels Blick suchte den Horizont, erregt fuhr er fort. »Spanien ist ein Land der Henker. Wer im Suff ein Heiligenbild schief ansieht, ist des Todes, wer zu wenig Schweinefleisch isst, gerät in den Verdacht, ein Jude oder Maure zu sein, wer zu denken wagt, wird in die Flammen gestoßen, und selbst Fröhlichkeit kann tödlich sein, weil sie einen Mangel an Gottesfurcht verrät. Alles Lebendige ist lebensgefährlich in Spanien, und du bist ein sehr lebendiges Geschöpf, so viel steht fest, mein Kind!«
Es war die leidenschaftlichste Rede, die Sidonia je von Gabriel Zimenes gehört hatte. Wie gegen seinen Willen gab er ihr einen Einblick in seine Seele. Auch er kannte also Leidenschaft, die stärker war als sein Verstand. Hinter der Maske des überlegenen Spötters war er nackt wie sie. Stumm vor Staunen betrachtete sie den Mann. Er hatte ein Herz für Ketzer! Doch diese Offenbarung erstaunte sie weniger als seine Leidenschaftlichkeit, die ihn sehr jung aussehen ließ.
Gabriels Blick verschleierte sich, unvermittelt ließ er den Zeigefinger seiner Rechten über ihre Wange gleiten. Die Berührung ließ Sidonia zurückzucken. Sie hinterließ eine brennende Furche, traf sie wie ein Blitzschlag und ließ sie zittern. Es gab Dinge, die man besser ganz schnell vergaß und bekämpfte. So wie dieses Gefühl plötzlicher Schwäche und Schutzlosigkeit.
»Bitte, ich muss zu Padre Fadrique. Doña Rosalia sagte, dass er weiß, ob der Ritter noch lebt, und dass er mir helfen wird. Er hat schon vielen Verfolgten geholfen, sagt sie.«
Zimenes’ Miene verschloss sich, und seine Sprechweise gewann befremdliche Schärfe. Es war, als zöge er eine Klinge aus der Scheide: »Oh ja, das Wohl der Löwensteins liegt dem Padre sehr am Herzen! Er ist ein großer Menschenretter, wenn er will.« In Mariflores’ Fall hatte er nicht gewollt, dachte Zimenes, und schon gar nicht in meinem! Warum war der Padre nicht gegen Aleander angetreten? Hatte er um seinen Lehrstuhl und sein Ansehen in Santiago gefürchtet? Seine Lehren über die allgemeine Toleranz und gegen alle Todesurteile im Namen des Glaubens waren nur Papier. Wie hatte er sich in dem Padre
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