Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
gierig, dann trank sie Wasser aus einem Lederschlauch. Als sie sich besser fühlte, wandte sie sich an Zimenes: »Warum hast du mir nicht gesagt, dass es hier eine Luke gibt! Die stickige Luft hat mich fast umgebracht, und dieser scharfe Wind ist wundervoll. Genau wie ich es mir immer vorgestellt habe!«
Zimenes prüfte mit der Hand die Windrichtung und entleerte den Holzbottich in die zischende Bugwelle. »Der Ausblick auf einen schwankenden Horizont hätte dein Leiden verschlimmert. Und wie ich dich kenne, hättest du die ganze Zeit vor der offenen Luke verbracht. Am Ende wärest du entdeckt worden oder hättest gar versucht, durch sie zu entkommen. Jetzt ist es Nacht, du kannst deinen Kopf nach Herzenslust hinausstecken.«
Sidonia kämpfte sich auf die Beine und fiel mit dem Rollen einer Welle gegen Zimenes. Erschöpft ließ sie sich gegen ihn sinken. Es tat wohl, sich in dieser schwankenden Welt an etwas festzuklammern. Sein Wams roch nach Salzluft und Ingwer.
»So zärtlich, Sidonia? Hast du in meinem Bett Sehnsucht nach mir entwickelt? Was würde dein Ritter dazu sagen?«
Sidonia stieß sich von ihm ab. »Ich habe Sehnsucht nach Luft und Bewegung, aber nicht nach dir!«
»Diese Sehnsucht musst du dir verkneifen. Ich sah an Deck eine Reihe deiner Bekannten. Die Kölner Pilger sind tatsächlich an Bord. Das Schiff ist voll bis zum letzten Platz. Und Bewegung ist an Deck nicht einfach. Überall liegen schnarchende Matrosen und Passagiere. Wer zum Abtritt am Schiffsschnabel will, hangelt sich außen an der Reling lang. Eine Übung, von der ich dir abrate. Wir haben schwere See und kreuzen vor dem Wind.«
Sidonia klammerte sich an einen Stützbalken und krallte ihre Nägel ins Holz. »Wo sind wir?«
»In einer Stunde werden wir Englands Küste erreichen und bis Cornwall unter Land weitersegeln, dann wird es ruhiger.«
»Wie lange wird die Reise nach Spanien dauern?«
»Morgen hofft der Kapitän in den Atlantik auszulaufen. Bei stetigem Wind sind es sieben bis elf Tagen bis La Coruña. Bei Flaute könnten es drei Wochen werden.«
Sidonia ließ sich auf das Kojenbett plumpsen. »Drei Wochen unter Deck? Das halte ich nicht aus.«
»Es könnte auch einen Monat dauern. Wir reisen im Verbund mit einer altersschwachen Karacke, wie es die Gesetze über den gegenseitigen Schutz von Pilgerschiffen vorschreiben.«
»Was für ein albernes Gesetz, wenn die Negrona schneller ist.«
»Du wirst anders denken, falls wir in Seenot geraten oder auf ein Korsarenschiff treffen. Vor der spanischen Küste segelt eine Menge Gesindel auf Abfangkurs. Die Negrona hat gute Fracht an Bord, dazu Passagiere, die Lösegeld bringen.«
»Korsaren schrecken mich nicht, ich sterbe hier vor Langeweile.« Das Schiff raste in ein Wellental. Sidonia streckte die Hände nach dem Holzbottich aus. Sie würgte und keuchte.
»Oder am mal de mar! « Zimenes ließ sich neben ihr nieder und stützte sie. Er strich ihr das Haar aus der Stirn, fuhr mit dem Zeigefinger die Linie ihrer Nase nach.
»Sidonia, du bist wirklich ein ungeduldiges Mädchen. Ungeduld kann gefährlich sein.« Er gab ihrer Nasenspitze einen Stups.
»Lass das, ich will nichts von dir.« Sie steckte sich ein Stück Ingwer in den Mund und stöhnte bei der nächsten Welle.
Zimenes strich über ihren Nacken, Sidonia spürte, wie sich die Härchen dort aufstellten, und erschauerte. Die Berührungen vertrieben mit einem Schlag jede Übelkeit. Zimenes näherte seinen Mund ihrem Ohr. »Aber ich will etwas von dir. Sofort!«
Sidonia schlug seine Hand fort. »Wie kannst du jetzt an so etwas denken?«
Zimenes lachte. » Du denkst ständig an so etwas, ich massiere dir nur den Nacken gegen das Unwohlsein! Ich frage mich langsam, warum du immer so unzüchtige Gedanken hast! Eine unwissende Jungfrau scheinst du jedenfalls nicht zu sein.«
Sidonia wandte entsetzt den Kopf ab. Ahnte Zimenes etwas von ihrer Schande? War ihr das entsetzliche Unglück anzusehen? Oder war sie eine geborene Hure, wie Aleander behauptete? Der Name Aleander ließ sie aufstöhnen.
»Ganz ruhig, Sidonia. Ich will nur wissen, wo Lunetta ist.«
»Das erfährst du erst, wenn ich sicher auf spanischem Boden stehe! Ich traue dir nicht«, schnappte sie.
»Dieses Misstrauen verbindet uns mehr als alles andere, meine Schöne. Falls du mich nicht mehr brauchst, gehe ich jetzt.«
»Lass mir die Laterne da!«
»Wozu? Möchtest du Seekarten studieren? Die Bibel lesen? Dir würde nur schlecht dabei werden. Was nicht an der
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