Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
bis dahin war es noch ein Stück Weg, und er brauchte alles Geld, das er bekommen konnte, um sich den Weg nach oben zu erkaufen.
Der Künstler, einer der berühmtesten Techniker seiner Zeit, der auch für den Kaiser arbeitete, verneigte sich vor dem Kirchenfürsten und öffnete eine silberne Schatulle. Corriano entnahm ihr ein Kinderspielzeug, eine zierliche Taube, aus Holz geschnitzt.
Aleander sah den Tand voller Liebenswürdigkeit an. Er kannte nur zwei Umgangsformen: die Schmeichelei und die Gewalt. Dem Erzbischof schmeichelte er nun mit staunender Verwirrung. »Ein Spielzeug, erzbischöfliche Gnaden?« Gott, war dieser Kirchenfürst kindisch! Er spielte mit hölzernen Vögeln – doch bald würde er mit ihm spielen. Taveras nächster Satz bestärkte ihn in dieser Vermutung.
»Es kann fliegen«, feixte der Mann im kostbaren Ornat.
»Der Vogel kann fliegen!«, wiederholte Aleander mit alberner Emphase.
Corriano nahm die Taube auf die Hand und drehte an einer winzigen Mechanik. Plötzlich öffnete die Holztaube ihre Flügel und bewegte die Schwanzfeder, hob sich in die Luft und flog durchs offene Fenster auf den Kathedralplatz. Der Erzbischof eilte hinterher. Aleander verfolgte es mit leerem Lächeln und auf dem Knie kauernd. Sein verkürztes Bein schmerzte, genau wie die Demutspflicht gegenüber einem so albernen Mann. Die Taube kehrte wieder und sank mit dumpfem Gurren zu Füßen des Bischofs nieder.
»Heb sie auf!«, befahl Tavera dem Dominikaner. Humpelnd kam Aleander dem Befehl nach. Er hielt das geschnitzte Holz in den Händen: »Ein Zauber! Fürwahr, ein Zauber, Euer erzbischöfliche Gnaden.«
»Wirf sie mit aller Kraft auf den Stein!«, forderte der Bischof. Aleander gehorchte – zum Entsetzen des Künstlers. Die Taube zerbrach in drei Teile, es war wirklich nur Holz und ein wenig Draht.
»Da hast du deinen Zauber«, höhnte der Erzbischof. »Du, der scharfsinnige Aleander, lässt dich von einem Stück Holz täuschen?« Er feixte wieder, dann wurde sein spitzes Fuchsgesicht kalt. »Und du willst in dieser Stadt regieren? Mit mir spielen? Mich hin und herfliegen lassen? Ich zerbreche solche Vögel, und ich zerbreche auch Löwen, wenn es mir gefällt.« Tavera funkelte den Dominikaner an. Mit einer Geste befahl er Corriano, sich zu entfernen. Aleander und der Erzbischof blieben allein zurück.
Tavera stand beim Fenster und sprach mehr zu dem Platz hin als zu Aleander. »Mich erreichten ärgerliche Neuigkeiten aus einem Nest namens Carrion, Bruder Aleander. Du hast Padre Fadrique vor mehr als einem Jahr aus Santiago fortgeschickt und behauptet, er gehe nach Paris, um dort ein Forschungsjahr einzulegen. Er war die ganze Zeit in Carrion! Eingesperrt in einem unbedeutenden Kloster. Du hast also gelogen.«
Aleander entschied, dass Schmeichelei ab jetzt fehl am Platze war. »Das habe ich«, sagte er mit fester Stimme.
Tavera wirbelte herum, die Goldborten seines Gewandes blitzten in der Sonne, die durchs Fenster fiel.
»Wie konntest du es wagen, dich in die Belange der Universität von Santiago einzumischen? Sie untersteht dem erzbischöflichen Schutz. Padre Fadrique ist ihr angesehenster Lehrer, eine Berühmtheit, der Kaiser ist seinem Orden zugeneigt ...«
»Die Inquisition«, unterbrach Aleander ihn scharf, »macht keinen Unterschied zwischen den Geringsten und den Höchsten, wenn sie sich zu Irrlehren bekennen, judaisieren oder solche Teufelei befördern und decken.«
Mit scharfem Atemzug drehte Tavera sich um. »Drohst du mir, Aleander?«
»Hätte ich Grund dazu?«
»Was wagst du, armseliger Mönch!«
Aleander schob mit seiner Fußspitze den zertrümmerten Vogel zur Seite. »Euer Zorn ist ungerechtfertigt. Nichts als meine demütigste Liebe zu Gott und seiner Kirche ließ mich Fadrique in ein Kloster verbannen. Auf eine Anzeige hin durchsuchten wir seine Bibliothek. Sie enthielt einen Schock ketzerischer Schriften. Allein das hätte genügt, um ein Todesurteil zu erwirken, denn ...«
Tavera machte eine wegwerfende Handbewegung. »In meiner Bibliothek fändet ihr ebenso arges Material. Meine Vorgänger sammelten alles, was zu Papier gebracht wurde, und niemand hätte sie je als Glaubensabweichler bezeichnet. Was sind schon Worte, Papier ...«
Aleander richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Eben komme ich aus Deutschland, wo dieser Mönch Luther mit Worten und Papier das allergrößte Unheil anrichtet. Das Volk liest dort in der Bibel und zweifelt daran, dass Papst und Kirche die
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