Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
stocksteif, begann dann zu röcheln und zu würgen und spuckte schließlich etwas aus, das sich als kleiner, gesalzener Fisch entpuppte, der wohl noch in dem Krug gewesen war, als der Junge ihn gefüllt hatte.
    Wanja lachte, bis ihm die Tränen kamen. »Das kommt davon, wenn man zu gierig ist, mein Guter. Du weißt ja, man soll Essen und Trinken immer hübsch trennen, zuerst einen Bissen, und dann einen Schluck, und nicht alles auf einmal.«
    »Vor allem sollte man das Kauen nicht vergessen«, warf Schirin spöttisch ein. In ihren Augen war es die richtige Strafe für die Gier des Mannes, und sie bedauerte, dass nicht jeder, der von dem Schnaps getrunken hatte, auf einen Fisch gestoßen war.
    »Leute, die Fähre kommt! Gleich sind wir beim Zaren.« Sergej wies auf den Prahm, der sich wieder dem hiesigen Ufer näherte. Er selbst, Wanja, zwei Dragoner und der größere Teil der Geiseln stiegen an Bord, während die restlichen mit einigen Soldaten zurückbleiben und auf die nächste Fahrt warten mussten.
    Als die Fähre abgelegt hatte und in den über dem Wasser wieder dichter werdenden Nebel hineinfuhr, fragte Schirin sich schaudernd, wonach die Schiffer sich orientieren mochten. An Land hatten Reisigbündel im Schlamm den Weg angegeben, doch hier bestand die Welt nur aus Wasser unter dem Boot und klebriger Feuchtigkeit in der Luft. Der Fährmann lenkte sein Gefährt jedoch unbeirrt in die rasch zunehmende Dunkelheit hinein und fand, während seine beiden Knechte ruderten, noch Zeit für ein kleines Schwätzchen.
    »Wenn der Nebel nicht wäre und die beginnende Nacht, könntet ihr dort drüben die Peter-und-Pauls-Festung sehen und dort vorne den Palast, den sich Fürst Menschikow gerade auf einer eigenen Insel erbauen lässt. Und gleich daneben ist unser Ziel, das Haus des Zaren.« Er sagte es in einem so seltsamen Ton, dass Schirin verwundert aufsah und nach vorne über den Bug des Prahms auf den Schein eines hoch auflodernden Feuers starrte, das sich aus der trüben Luft schälte. Die Flammen ließen das angesteuerte Ufer und den in geheimnisvolles Licht gehüllten Umriss eines Hauses sichtbar werden. Schirin wusste nicht, was sie erwartet hatte, vielleicht einen Palast, wie sie ihn im Kreml gesehen hatte, aber kein großes Holzhaus,das in seiner Form eher an die Gebäude in der Nemezkaja Sloboda erinnerte als an russische Bauten.
    Die Fähre erreichte die Anlegestelle und prallte so hart gegen den bereits schief stehenden Steg, dass Schirin von den Beinen gerissen wurde. Ein rasch zugreifender Arm hielt sie fest und verhinderte, dass sie ins Wasser stürzte. Sie blickte auf und sah in Sergejs Gesicht. Er lächelte fröhlich und deutete mit dem Kinn auf den Prahm. »So ein Schiffchen kann manchmal genauso bocken wie ein Pferd. Da muss man sich gut festhalten.«
    »Oder festgehalten werden!«, warf Wanja ein.
    »Danke!«, murmelte Schirin. Es klang nicht gerade freundlich, und darüber ärgerte sie sich selbst. Sergej Tarlow hatte sich als guter Reisekamerad erwiesen und dafür gesorgt, dass sie unterwegs immer genug zu essen bekommen hatte, aber der Nebel, das Wasser um sie herum und die grauschwarze Umgebung trübten ihre Laune. Sie warf noch einen Blick auf Ilgur und einige andere Geiseln, die keine helfende Hand gefunden hatten und auf den nassen Boden des Prahms gestürzt waren, und kletterte dann über die Bordwand auf den Steg, froh, das schwankende Boot endlich hinter sich lassen zu können. Als sie festen Boden unter den Füßen spürte, schwor sie sich, nie mehr so ein Gefährt zu betreten. Dann aber erinnerte sie sich, dass das Haus des Zaren auf einer Insel erbaut worden war, und schloss daraus, dass der Herr über Russland noch verrückter sein musste als seine Untertanen. Gewiss war in Moskau nicht alles eitel Sonnenschein gewesen, doch die Stadt war allemal bewohnbarer als dieser in einem Land voller Sümpfe gelegene Ort, den man nicht einmal auf dem Rücken eines Pferdes erreichen konnte.
    Um den brennenden Holzstoß herum waren mehrere Bänke aufgestellt worden, und zwei Soldaten, die am Feuer saßen und sich die Hände wärmten, musterten die Ankömmlinge. Als einer von ihnen nickte, sprang der andere auf, lief zu dem Haus und klopfte gegen die Tür. »Mütterchen, die sibirischen Geiseln sind eben eingetroffen!«
    Kurz darauf schwang die Tür auf, und eine stattlich gewachsene Frau in einem weiten Rock und einer wollenen Weste trat heraus. Sie war keine Schönheit, aber durchaus ansehnlich, nur

Weitere Kostenlose Bücher