Die Tatarin
besaß sie in Schirins Augen viel zu viel Busen.
»Leg Holz nach, Iwan! Unsere Gäste wollen sich gewiss wärmen«, sagte die Frau zu dem Soldaten und wandte sich dann an Sergej. »Verzeiht, Hauptmann, wenn Ihr noch ein wenig warten müsst. Der Zar führt gerade ein ernstes Gespräch mit seinem Sohn. Ihr habt doch gewiss nichts gegen einen Becher Wodka und einen Napf Suppe?«
Bei dem Wort Wodka grinste Wanja von Ohr zu Ohr. »Gegen einen kräftigen Schluck Wässerchen und einen Teller Borschtsch haben wir nichts einzuwenden, nicht wahr, Sergej Wassiljewitsch?«
Um die Lippen der Frau spielte ein amüsiertes Lächeln. Sie winkte der Gruppe, am Feuer Platz zu nehmen, und kehrte ins Haus zurück.
Schirin setzte sich ein wenig abseits, und Ostap lief ihr wie gewohnt nach. Wanja, der hoffte, das Glas Wodka ergattern zu können, welches der Tatar verschmähen würde, gesellte sich ebenfalls zu ihnen.
»Wer war die Frau?«, fragte Schirin ihn leise.
Wanja Dobrowitsch zog die Stirn in Falten und überlegte, wie er einem Tataren die Stellung der einstigen Magd Marta Skawronskaja erklären sollte, die jetzt unter dem Namen Jekaterina die Geliebte des Zaren geworden war. »Nun ja, das war, wollen wir mal sagen, so etwas Ähnliches wie die Frau des Zaren.«
»Die Khanum der Russen?« Eine solche hätte Schirin sich anders vorgestellt, hoheitsvoller und in weitaus prunkvollerer Kleidung. Diese Frau aber sah wie eine Bäuerin aus.
»Nein, nicht direkt die Zarin.« Wanja machte ein Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen.
Schirin besaß jedoch ganz andere Moralvorstellungen, als der russische Klerus sie verkündete. »Also handelt es sich um eine der Nebenfrauen eures Zaren.«
»Um seine einzige Nebenfrau.« Wanja hüstelte leicht und dachte daran, dass die Ehefrau des Zaren seit einigen Jahren nicht ganz freiwillig in einem Kloster lebte und Pjotr Alexejewitsch sich daher so frei dünkte wie ein Jüngling oder ein Witwer. Bevor Schirin weiter nachfragen konnte, tauchte Jekaterina wieder auf. Sie brachte einen großen Krug Wodka und etliche Gläser mit, die sie freigebig verteilte. Nachdem Sergej und die meisten anderen ihren Schnaps erhalten hatten, kam sie auch zu der Bank, auf der Schirin, Wanja und Ostap saßen.
»In deinem Alter ist Wodka noch nichts für dich«, erklärte sie dem sichtlich enttäuschten Ostap und zog auch bei Schirin die Nase kraus. »Du solltest auch noch damit warten.«
»Nur ein kleines Gläschen, Mütterchen«, bat Wanja, der seine Zusatzration bereits entschwinden sah. Jekaterinas Blick glitt prüfend über Schirins Gesicht und begriff, was der Wachtmeister im Sinn hatte.
»Gut, ein Glas, mehr aber nicht.« Sie füllte zwei Gläser und stellte sie vor Wanja. »Der junge Bursche da«, sie wies mit dem Kopf auf Schirin, »scheint mehr Verstand zu haben als die meisten Männer.«
»Das sage ich auch immer!«, stimmte Wanja ihr zu und trank die beiden Gläser rasch leer. Als der Schnaps brennend seine Kehle hinunterrann, keuchte er ein wenig und sagte anerkennend. »Das ist ein Wodka, Mütterchen! Der macht selbst einen Toten wieder lebendig.«
»Wollte Gott, es wäre so! Wir könnten die Soldaten, die bislang in den Kämpfen mit den Schweden gefallen sind, so dringend brauchen.«
Schirin spürte, dass Jekaterina sich um das Russische Reich und ihren Geliebten Sorgen machte. Die Frau hatte sich jedoch rasch wieder in der Gewalt und schenkte Wanja noch ein Glas ein. »Trinke auf den Zaren, Unteroffizier!«
»Mütterchen, hätte ich tausend Gläser, ich würde sie alle auf die Gesundheit unseres lieben Väterchens Pjotr Alexejewitsch trinken. Mögen Gott und alle Heiligen immer mit ihm sein!« Wanja standauf, nahm Haltung an und stürzte das Glas in einem Zug hinab. Dann wog er es für einen Augenblick in der Hand und schleuderte es mit einer heftigen Bewegung ins Feuer.
»Auf den Zaren, Kameraden, und auf seine Stadt Sankt Petersburg!« Sein Ruf scholl über die Insel und wurde nicht nur von Sergej und den übrigen Soldaten, sondern auch von einigen anderen Männern aufgenommen, deren Stimmen aus dem Nebel erklangen.
Unterdessen hatten zwei Mägde begonnen, aus einem großen Kessel Suppe an die Leute zu verteilen. Eine leicht untersetzte Frau um die vierzig mit noch recht glatten Gesichtszügen beaufsichtigte sie dabei. Als sie Schirin einen vollen Napf reichte, roch diese misstrauisch daran.
Jekaterina, die versonnen stehen geblieben war, sah es und lächelte verständnisvoll. »Es ist kein
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