Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
ich mich den Bedingungen des Hauses füge, denkt Orito ...
Die einstmals schönen Augen der Prostituierten starrten sie aus dunklen Höhlen an.
... ist der erste Schritt in die echte Fügsamkeit.
Am Tor ertönt Meister Suzakus unbeschwertes Lachen.
Die Sehnsucht und das körperliche Verlangen nach der Droge besorgen den Rest ...
Der wachhabende Novize ruft: «Inneres Tor öffnen, Schwestern!»
... und wenn sie dich schon abhängig gemacht haben, warum sich dann noch weiter sträuben?
«Wenn du deinen Willen nicht zurückerlangst», sagt das Mädchen im Teich, «wirst du wie die anderen.» Morgen , beschließt Orito, ist Schluss mit Suzakus Droge.
Der Bach verlässt den Teich durch moosbewachsene Gitter.
Dieses Morgen , erkennt sie, ist das Zeichen, dass du heute aufhören musst.
«Wie geht es unserer Jüngsten Schwester heute Abend?», erkundigt sich Meister Suzaku.
Äbtissin Izu sieht aus der Ecke zu, Novize Chūai sitzt ihr gegenüber.
«Ich erfreue mich bester Gesundheit, Meister Suzaku, vielen Dank.»
«Der Himmel heute Abend war wie im Reinen Land, nicht wahr, Jüngste Schwester?»
«In der Unteren Welt - waren die Sonnenuntergänge nie so schön.»
Der Mann denkt zufrieden über ihre Worte nach. «Du warst heute Morgen nicht gekränkt über das Urteil der Göttin?»
Ich muss meine Erleichterung verbergen , denkt Orito, und verbergen, dass ich sie verberge. «Man lernt, das Urteil der Göttin anzunehmen.»
«Du hast in kurzer Zeit einen weiten Weg zurückgelegt, Jüngste Schwester.»
«Die Erleuchtung, habe ich gehört, kann in einem einzigen Moment geschehen.»
«Ja. Ja, das stimmt.» Suzaku blickt hinüber zu seinem Helfer. «Nach vielen mühevollen Jahren verwandelt die Erleuchtung einen Menschen binnen eines Herzschlags. Meister Genmu ist so zufrieden mit deiner Entwicklung, dass er dem Fürstabt in einem Brief davon berichtet hat.»
Er sucht in meinem Gesicht , denkt Orito, nach Zeichen der Verärgerung.
«Ich habe es nicht verdient, dass Fürst Enomoto mir Beachtung schenkt», sagt die Jüngste Schwester.
«Du kannst dir sicher sein, dass die väterliche Sorge unseres Fürstabts all unseren Schwestern gilt.»
Das Wort «väterlich» weckt Erinnerungen an Oritos Vater, und die noch nicht verheilte Wunde beginnt wieder zu schmerzen.
Man hört und riecht, dass im Langen Raum das Abendessen aufgetragen wird.
«Dann haben wir keine Beschwerden zu berichten? Keine Schmerzen, keine Blutungen?»
«Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass mir im Haus der Schwestern etwas fehlen könnte, Meister Suzaku.»
«Keine Verstopfung, kein Durchfall? Hämorrhoiden? Ausschläge? Kopfschmerzen?»
«Wenn Ihr erlaubt, möchte ich um eine Dosis meiner ... meiner täglichen Medizin bitten.»
«Mit dem größten Vergnügen.» Suzaku gießt die schlammige Flüssigkeit in einen fingerhutgroßen Becher und reicht ihn Orito, die sich abwendet und wie eine wohlerzogene Frau ihren Mund verbirgt. Ihr Körper schmerzt vor Sehnsucht nach der Linderung, die das Trost ihm spendet. Aber bevor sie ihre Meinung ändern kann, kippt Orito die Flüssigkeit in den dicken wattierten Ärmel, und der dunkelblaue Stoff saugt alles auf.
«Sie schmeckt heute Abend wie ... wie Honig», sagt Orito. «Oder bilde ich mir das nur ein?»
«Was gut ist für den Körper», Suzaku blickt auf ihren Mund, «ist auch gut für die Seele.»
Während Orito und Yayoi das Geschirr spülen, beruhigen die anderen Schwestern Kagerō und Hashihime mit aufmunternden Worten - manche schüchtern, andere, dem Gelächter nach zu urteilen, alles andere als schüchtern bis die beiden Auserwählten von Äbtissin Izu in den Altarraum gebracht werden, um zur Göttin zu beten. Eine Viertelstunde später bringt die Äbtissin sie in ihre Zellen, wo sie auf die Gabenspender warten. Als der Abwasch erledigt ist, bleibt Orito im Langen Raum: Sie will nicht allein sein mit dem Gedanken, dass im nächsten Monat sie diejenige sein könnte, die mit bestickter Kapuze über dem Kopf auf einen Meister oder Novizen wartet. Ihr Körper beschwert sich über das Ausbleiben der Trostmedizin. In einem Augenblick ist er heiß wie Suppe, im nächsten kalt wie Rasureis. Als Hatsune sie bittet, den Neujahrsbrief ihrer erstgeborenen Gabe vorzulesen, inzwischen eine junge Frau von siebzehn Jahren, nimmt Orito die Ablenkung dankbar an.
«‹Liebste Mutter›.» Orito blickt im fahlen Licht der Lampe angestrengt auf die zarten Pinselstriche. «‹Die Beeren fangen an, sich rot
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