Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Göttin wird wollen, dass Schwester Orito sich so schnell wie möglich bei uns zu Hause fühlt.» Die blinde Minori, die schon seit achtzehn Jahren im Kloster lebt, sagte, nicht alle Jüngsten Schwestern würden bereits im zweiten Monat beschenkt, spätestens aber im vierten. Yayoi meinte, die Göttin könnte noch einmal Kagerō und Minori bestimmen, denn beide hätten im vergangenen Monat keine Gabe empfangen, obwohl sie auserwählt gewesen seien, aber Orito argwöhnt, dass Yayoi ihr mit diesen Worten nur die Angst nehmen wollte.
Im Gebetsraum wird es still. Das Sutra ist vorbei.
Bitte, lass mich nicht auserwählt sein. Das Warten ist unerträglich. Bitte, nicht ich.
Äbtissin Izu schlägt den röhrenförmigen Gong. Der Klang steigt und fällt wie eine Welle.
Die Schwestern pressen in Ehrerbietung die Stirn auf die Tatami-Matte.
Wie Verbrecherinnen , denkt Orito, die aufs Schwert des Henkers warten.
Das Festgewand der Äbtissin raschelt. «Schwestern des Shiranui ...»
Alle neun Schwestern verharren in ihrer Position.
«Die Göttin hat Meister Genmu angewiesen, dass im elften Monat ...»
Ein herabfallender Eiszapfen zerbirst im Wandelgang, und Orito zuckt zusammen.
«... im elften Monat des elften Jahres der Kansei-Zeit ...»
Ich gehöre nicht hierher , denkt Orito. Ich gehöre nicht hierher
«... die beiden Schwestern, die in ihrem Namen beschenkt werden, Kagerō und Hashihime sind.»
Orito erstickt ein Stöhnen der Erleichterung, aber ihr pochendes Herz lässt sich nicht beruhigen.
Willst du mir nicht danken , fragt die Göttin Orito, weil ich dich dieses Mal verschont habe?
Ich kann dich nicht hören. Orito presst die Lippen aufeinander. Du Stück Holz.
Nächsten Monat. Die Göttin lacht wie Oritos Stiefmutter. Versprochen.
An Gabentagen zieht Festtagsstimmung im Haus der Schwestern ein. Gleich nach der Zeremonie werden Kagerō und Hashihime im Langen Raum beglückwünscht. Orito ist verblüfft, mit welcher Aufrichtigkeit die beiden Frauen beneidet werden. Die Gespräche drehen sich um die Kleidung, die Parfüms und Öle, die die Auserwählten tragen werden, um die Gabenspender zu begrüßen. Zum Frühstück gibt es Reisklößchen und mit Honig gesüßte Azukibohnen, und aus Abt Enomotos Vorratskammer werden Tabak und Sake gebracht. Kagerōs und Hashihimes Zellen werden mit Papierornamenten geschmückt. Orito empfindet Übelkeit angesichts dieser Feier der Zwangsbefruchtung, und sie ist froh, als die Sonne endlich ihr Gesicht zeigt und Äbtissin Izu sie und Sawarabi beauftragt, die Futons zum Lüften nach draußen zu bringen. Die strohgefüllten Matratzen werden über eine Stange im Innenhof gehängt und kräftig mit einem Bambusklopfer ausgeschlagen. Ein feiner Nebel aus Staub und Milben hängt in der klaren, kalten Luft. Sawarabi ist eine stämmige Bauerntochter aus der Kirishima-Hochebene, und schon bald kann die Arzttochter nicht mehr mithalten. Sawarabi bemerkt es und ist so freundlich, eine kleine Pause vorzuschlagen. Sie setzt sich auf einen Stapel Futons. «Hoffentlich bist du nicht allzu enttäuscht, dass die Göttin dich in diesem Monat übergangen hat, Jüngste Schwester.»
Orito, noch ganz außer Atem, schüttelt den Kopf.
Im Wandelgang gegenüber füttern Asagao und Hotaru ein Eichhörnchen.
Sawarabi ist gut darin, andere zu durchschauen. «Fürchte dich nicht davor, beschenkt zu werden. Du siehst ja, welche Privilegien Yayoi und Yūguri genießen: mehr Essen, besseres Bettzeug, Holzkohle ... und jetzt bekommen sie sogar eine ausgebildete Hebamme! Welche Prinzessin wird so verwöhnt? Die Mönche sind freundlicher als Ehemänner, viel sauberer als Freier im Bordell, und hier gibt es keine Schwiegermutter, die deine Dummheit verflucht, wenn du eine Tochter gebierst, und die zur leibhaftigen Eifersucht wird, wenn du einen männlichen Erben hervorbringst.»
Orito verstellt sich. «Ja, Schwester. Das sehe ich auch so.»
Getauter Schnee platscht von der alten Pinie.
Hör auf zu lügen - die dicke Ratte sitzt unter dem Wandelgang -, und hör auf, dich zu wehren.
«Wirklich, Schwester», Sawarabi zögert, «wenn man bedenkt, was entstellte Mädchen ...»
Die Göttin - die Ratte stellt sich auf die Hinterpfoten - ist deine zärtliche, geduldige Mutter.
«... in der Unteren Welt zu erdulden haben», sagt Sawarabi, «ist dieser Ort ein Palast.»
Asagaos und Hotarus Eichhörnchen flitzt eine Säule hinauf.
Der Kahle Gipfel ist so klar zu sehen, man könnte ihn mit einer Nadel auf
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