Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
hätte ein Fuchs mich verhext! Dann sagte Ueda-sans Frau, Shingo-san persönlich hätte diesen Wunsch geäußert. Als ich hörte, dass ein so stattlicher junger Mann mich zu seiner Braut machen will, liefen mir dir Tränen über die Wangen.›»
Yayoi reicht Hotaru ein Papiertuch, damit sie sich die feuchten Augen abtupfen kann.
Orito faltet die Seite zusammen und öffnet die nächste. «‹Ich bat Ueda-san um Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen, und er forderte mich mit Nachdruck dazu auf. Meine Herkunft sei zu zweifelhaft für die Koyamas, sagte ich, und dass ich mich dem Wohl der Schneiderei verpflichtet fühle. Außerdem würden böse Zungen behaupten, ich hätte Niedertracht und Tücke eingesetzt, um einen so großartigen Mann zu umgarnen und in die Familie der Koyamas einzuheiraten.›»
«Ach was», kichert Yūgiri, die vom Sake schon ein wenig angeheitert ist, «pack den Burschen einfach bei seiner Lanze!»
«Schäm dich, Schwester», schilt Hausmutter Satsuki. «Lass die Jüngste Schwester weiter vorlesen.»
«‹Meister Ueda erwiderte, die Koyamas wüssten über meine Herkunft als Tochter des Schreins Bescheid und hätten nichts dagegen einzuwenden. Sie wünschten sich eine pflichtbewusste, tüchtige und bescheidene Schwiegertochter und kein›» - einige Schwestern sprechen die spöttische Titulierung liebevoll mit - «‹kein zimperliches, Limonade schlürfendes Fräulein, das Fleiß für eine Stadt in China hält. Zum Schluss erinnerte mich mein Herr daran, dass ich seit meiner Adoption eine Ueda sei, und er fragte mich, warum ich der Meinung sei, dass die Uedas so weit unter den Koyamas stünden. Errötend entschuldigte ich mich bei meinem Herrn für die gedankenlosen Worte.›»
«So hat Noriko-san das doch gar nicht gemeint!», protestiert Hotaru.
Hatsune wärmt sich die Hände am Feuer. «Ich glaube, er will ihr nur ihre Schüchternheit nehmen.»
«‹Meine Bedenken würden mich sehr ehren, sagte Ueda-sans Frau, aber die beiden Familien seien übereingekommen, dass die Verlobung bis zu meinem siebzehnten Neujahrstag dauern solle ...›»
«Das ist kommendes Neujahr», erklärt Hatsune Orito.
«‹... und wenn sich an Shingo-samas Gefühlen bis dahin nichts geändert hat ...›»
«Ich bete zur Göttin, dass sie seinem Herzen Treue schenkt», sagt Sadaie. «Jeden Abend.»
«‹... heiraten wir am ersten günstigen Tag des ersten Monats. Ueda-san und Koyama-san wollen in eine Schneiderei investieren, die sich auf die Fertigung von Obi-Gürteln spezialisiert. Dort werden mein Mann und ich arbeiten und unsere eigenen Lehrlinge ausbilden.›»
«Stellt euch nur vor!», strahlt Kiritsubo. «Hatsunes Gabe bekommt ihre eigenen Lehrlinge!»
«Und Kinder», sagt Yūgiri, «wenn der junge Shingo seinen Willen durchsetzt.»
«‹Wenn ich diese Zeilen lese, erscheinen mir meine Worte wie die eines träumenden Mädchens. Vielleicht ist dies die schönste Gabe, die unser Briefwechsel uns schenkt, Mutter: einen Ort, an dem wir träumen können. Ich denke jeden Tag an dich. Deine Gabe Noriko.›»
Die Frauen schauen auf den Brief oder blicken ins Feuer. Sie sind in Gedanken weit, weit fort.
Orito begreift, dass die Neujahrsbriefe für die Schwestern reine Trostmedizin sind.
Als die Stunde des Ebers angebrochen ist, öffnet sich das Tor für die beiden Gabenspender. Die Schwestern im Langen Raum hören, wie der Riegel aufgeschoben wird und wie Äbtissin Izu ihr Zimmer verlässt und zum Tor geht. Orito stellt sich drei stumme Verbeugungen vor. Die Äbtissin führt zwei Männer über den Korridor, erst zu Kagerōs, dann zu Hashihimes Zelle. Kurz darauf geht die Äbtissin allein am Langen Raum vorbei. Die Kerzen zischen. Orito hat damit gerechnet, dass Yūgiri und Sawarabi versuchen, auf dem unbeleuchteten Flur einen Blick auf die auserwählten Gabenspender zu erhaschen, aber die beiden spielen in aller Ruhe mit Hotaru und Asagao eine Partie Mahjongg. Es wird gar nicht zur Kenntnis genommen, dass der Meister und der Novize die Zellen der auserwählten Schwestern betreten haben. Hatsune singt leise Das Schloss im Mondlicht und begleitet sich dazu auf dem Koto. Hausmutter Satsuki stopft eine Socke. Sobald der körperliche Vorgang, der im Haus «Gabenspende» genannt wird, tatsächlich vollzogen wird, begreift Orito, werden das Tratschen und die Späße eingestellt. Sie begreift auch, dass die Heiterkeit der Schwestern und die schlüpfrigen Bemerkungen kein Mittel sind, um zu leugnen, dass ihre
Weitere Kostenlose Bücher