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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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zu werden.»
    Der Abgreifer gibt Jacob die Schuhe zurück und erteilt einen neuen Befehl.
    «Kleiderstücke aus!», sagen die Dolmetscher. «Kleiderstücke aus!»
    «Kleiderstücke bleiben an!», erwidert van Cleef scharf. «Sekretäre ziehen sich nicht aus, Herr de Zoet; das Stinktier will uns nur mal wieder die Würde nehmen. Wenn Sie ihm jetzt gehorchen, muss bis zum Jüngsten Tag jeder Sekretär, der nach Japan kommt, dasselbe tun.»
    Der Abgreifer protestiert, der Chor ruft: «Kleiderstücke aus!»
    Dolmetscher Sekita merkt, dass er in Schwierigkeiten steckt, und verdrückt sich.
    Vorstenbosch schlägt mit dem Stock auf den Boden, bis Ruhe herrscht. «Nein!»
    Der Abgreifer gibt sich widerwillig geschlagen.
    Ein Zollbeamter klopft mit seiner Lanze auf Jacobs Seemannskiste und sagt etwas.
    «Bitte aufmachen», übersetzt ein Dolmetschereleve. «Große Kiste aufmachen!»
    Die Kiste , höhnt eine Flüsterstimme in Jacob, mit deinem Psalter.
    «Bevor wir alle alt und grau sind, de Zoet», sagt Vorstenbosch.
    Mit flauem Magen schließt Jacob wie befohlen die Kiste auf. Einer der Wachleute sagt etwas. Der Chor übersetzt: «Zurück! Treten Sie zurück!»
    Gut zwanzig Hälse recken sich neugierig, als der Abgreifer den Deckel hebt und Jacobs fünf Leinenhemden auseinanderfaltet. Er nimmt Jacobs Wolldecke aus der Kiste, Strümpfe, ein Säckchen mit Knöpfen und Schnallen, eine schäbige Perücke, einen Satz Federkiele, vergilbte Unterwäsche, den Kompass aus Jacobs Kinderzeit, ein halbes Stück Windsorseife, die zwei Dutzend Briefe von Anna, zusammengebunden mit einer Locke ihres Haars, ein Rasiermesser, eine Delfter Pfeife, ein gesprungenes Glas, einen Folianten mit Notenblättern, eine mottenzerfressene flaschengrüne Samtweste und einen Teller mit Messer und Löffel aus Zinn, bis nur noch gut fünfzig Bücher verschiedenster Art in der Kiste liegen. Der Abgreifer spricht mit einem Untergebenen, der eilig das Zollhaus verlässt.
    «Diensthabenden Dolmetscher holen», sagt einer der Dolmetscher. «Um Bücher zu sehen.»
    «Wird die Sektion», Jacobs Brust ist wie zusammengeschnürt, «denn nicht von Herrn Sekita durchgeführt?»
    Van Cleefs bärtiges Gesicht verzieht sich zu einem gelben Grinsen. «Sektion?»
    «Inspektion, meine ich: die Inspektion meiner Bücher.»
    «Sekitas Vater hat ihm den Platz in der Zunft erkauft, aber das Verbot des» - van Cleef flüstert lautlos «Christentums» - «ist zu bedeutend für Dummköpfe. Ein Klügerer wird die Bücher überprüfen: Iwase Banri vielleicht oder einer der Ogawas.»
    «Wer sind die ...», Jacob würgt an seinem Speichel, «... Ogawas?»
    «Ogawa Mimasaku ist einer der vier Oberdolmetscher. Sein Sohn, Ogawa Uzaemon, gehört zum dritten Rang und -» Ein junger Mann betritt den Raum. «Ah! Wenn man vom Teufel spricht und auf seine Schritte horcht! Einen herzlichen guten Morgen, Herr Ogawa.»
    Ogawa Uzaemon, Mitte zwanzig, hat ein offenes, intelligentes Gesicht. Die ranglosen Dolmetscher verbeugen sich tief. Er verbeugt sich vor Vorstenbosch, van Cleef und zum Schluss vor dem Neuankömmling. «Willkommen an Land, Herr de Zoet.» Seine Aussprache ist hervorragend. Er streckt die Hand zu einem europäischen Gruß aus, während Jacob sich nach asiatischer Sitte verbeugt, worauf der Dolmetscher die Verbeugung erwidert, während Jacob ihm die Hand hinstreckt. Alle Anwesenden schmunzeln über diese amüsante Szene. «Man sagte mir», sagt der Dolmetscher, «Herr de Zoet bringt viele Bücher ... und da sind sie ...», er zeigt auf die Kiste, «... viele, viele Bücher. Eine ‹Fülle› von Büchern, sagt man so?»
    «Ein paar Bücher», sagt Jacob, der sich vor Aufregung übergeben könnte. «Oder ziemlich viele: ja.»
    «Darf ich Bücher herausnehmen und ansehen?» Ohne die Antwort abzuwarten, greift Ogawa begierig in die Kiste. Jacobs Welt wird zu einem engen Tunnel zwischen ihm und seinem Psalter, der zwischen den zwei Bänden der Sara Burgerhart -Ausgabe hervorschaut. Ogawa runzelt die Stirn. «Viele, viele Bücher. Ein wenig Zeit, bitte. Wenn fertig, ich gebe Bescheid. Ist das genehm?» Er missversteht Jacobs Zögern. Bücher sind sicher. «Ich» - Ogawa legt sich die Hand aufs Herz - «auch bin bibliophil . Ist das richtiges Wort? Bibliophil? »
     
    Auf dem Wiegeplatz glüht die Sonne wie ein Brandeisen.
    Gleich , denkt der Schmuggler wider Willen, finden sie meinen Psalter.
    Vorstenbosch wird von einem Grüppchen japanischer Beamter erwartet.
    Ein malaiischer Sklave

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