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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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verbeugt sich, in der Hand einen Bambussonnenschirm für den Faktor.
    «Kapitän Lacy und ich», sagt der Faktor, «haben bis zum Mittagessen allerlei Verpflichtungen im Empfangszimmer zu erfüllen. Sie sehen nicht wohl aus, de Zoet: Lassen Sie sich von Dr. Marinus einen Viertelliter abzapfen, wenn Herr van Cleef Ihnen alles gezeigt hat.» Er nickt seinem Stellvertreter zum Abschied zu und geht auf sein Haus zu.
    In der Mitte des Wiegeplatzes steht ein zwei Mann hohes Dreibein mit einer Waage. «Heute wiegen wir Zucker», sagt van Cleef, «um festzustellen, was der Mist wert ist. Batavia hat uns den Ausschuss aus seinen Speichern geschickt.»
    Auf dem kleinen Platz drängen sich über hundert Kaufleute, Dolmetscher, Inspektoren, Diener, Spitzel, Lakaien, Sänften- und Gepäckträger. So, denkt Jacob, sehen also die Japaner aus . Haarfarbe - schwarz oder grau - und Hautfarbe sind einheitlicher, als es bei einer vergleichbaren Anzahl Niederländer der Fall wäre, und Kleidung, Schuhwerk und Haartracht scheinen je nach Rang streng vorgeschrieben zu sein. Fünfzehn bis zwanzig nahezu nackte Zimmerleute hocken auf dem Gerüst eines neuen Speichers. «Fauler als eine Horde Gin saufender Finnen ...», murmelt van Cleef. Vom Dach eines der Zollhäuser sieht ein rosagesichtiger, schwarz-weiß gefleckter Affe in Segeltuchjacke dem Treiben zu. «Wie ich sehe, haben Sie William Pitt schon entdeckt.»
    «Verzeihung?»
    «König Georgs oberster Minister. Er hört auf keinen anderen Namen. Ein Matrose brachte ihn vor sechs oder sieben Jahren mit, aber an dem Tag, als sein Besitzer absegelte, war der Affe plötzlich verschwunden. Erst am nächsten Tag tauchte er wieder auf, als befreiter Sklave von Dejima. Apropos Affen, das da drüben ...», van Cleef zeigt auf einen hohlwangigen Mann mit Rattenschwanz, der Zuckerkisten öffnet, «... ist Wybo Gerritszoon, einer unserer Arbeiter.» Gerritszoon steckt die wertvollen Nägel in die Jackentasche. Die Zuckersäcke werden an einem japanischen Inspektor und einem auffälligen fremdländischen Jüngling von siebzehn oder achtzehn Jahren vorbeigetragen: Er hat das goldene Haar eines Engels, die breiten Lippen eines Javaners und fernöstliche Schlitzaugen. «Ivo Oost: ein Kind der Liebe mit einem ordentlichen Schuss Mestizenblut.»
    Die Zuckersäcke werden auf einem improvisierten Tisch neben der Waage abgestellt.
    Das Wiegen wird von drei weiteren japanischen Beamten, einem Dolmetscher und zwei Europäern in den Zwanzigern überwacht. «Der linke», van Cleef zeigt auf ihn, «ist Peter Fischer, ein Preuße aus Magdeburg ...», Fischer ist braun wie eine Nuss und hat dunkles, schon schütteres Haar, «... und geprüfter Revisor - womit wir eine reiche Auswahl haben, da Sie, wie Herr Vorstenbosch sagt, ebenso qualifiziert sind. Der Mann neben Fischer ist Con Twomey, ein Ire aus Cork.» Twomey, in grobes Segeltuch gekleidet, hat ein halbmondförmiges Gesicht, kurzgeschorenes Haar und ein gewitztes Lächeln. «Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie die Namen wieder vergessen: Sobald die Shenandoah absegelt, beginnt die Ewigkeit der Langeweile, in der wir alles übereinander erfahren können.»
    «Schöpfen die Japaner denn nicht Verdacht, dass einige unserer Männer gar keine Niederländer sind?»
    «Wir erklären Twomeys scheußlichen Akzent damit, dass er aus Groningen stammt. Wann hat es schon genügend echte Niederländer gegeben, um die Kompanie zu bestücken? Gerade jetzt » - die Betonung spielt auf die heikle Angelegenheit von Daniel Snitkers Inhaftierung an - «müssen wir nehmen, was wir kriegen können. Twomey ist unser Zimmermann, aber an Wiegetagen springt er als Inspektor ein, denn wenn man die verdammten Kulis nicht mit Falkenaugen bewacht, lassen sie blitzschnell einen Sack Zucker verschwinden. Mit den Wachen ist es dasselbe - und die Kaufleute sind die Gerissensten von allen: Gestern hat einer von den Hurensöhnen heimlich einen Stein in einen Sack gesteckt. Dann hat er den ‹Beweis› entdeckt, um so das Durchschnittsgewicht zu drücken.»
    «Soll ich jetzt mit der Arbeit beginnen, Herr van Cleef?»
    «Zuerst soll Dr. Marinus Sie zur Ader lassen. Wenn Sie sich eingerichtet haben, können Sie sich ins Getümmel stürzen. Sie finden Marinus in seiner Praxis am Ende der Langen Straße - dieser hier - beim Lorbeerbaum. Sie werden sich nicht verlaufen. Niemand hat sich je auf Dejima verlaufen, es sei denn, er hatte den Kanal voll Grog.»
     
    «Ein Glück, dass ich hier zufällig

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