Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
gibt in Nagasaki also keine fette niederländische Gans, die darauf wartet, von uns gerupft zu werden. Ihr seid enttäuscht, eure Offiziere sind enttäuscht, und ich bin es auch.» Der Kapitän spricht langsam, damit seine Rede in andere Sprachen übermittelt werden kann. «Tröstet euch mit dem Gedanken an die vielen nichts ahnenden französischen Prisen, die wir auf der langen, langen Heimfahrt nach Plymouth aufbringen werden.» Tölpel schreien. Die Ruder der Wachtboote knarren und platschen. «Wir haben den Auftrag, das neunzehnte Jahrhundert in dieses unwissende Land zu bringen. Mit neunzehntem Jahrhundert meine ich das britische neunzehnte Jahrhundert, nicht das französische, russische oder niederländische. Wird uns das alle zu reichen Leuten machen? In barer Münze gesprochen, nein! Wird unsere Phoebus dadurch zum berühmtesten Schiff in ganz Japan, das daheim von der Admiralität gefeiert wird? Die Antwort ist ein tönendes Ja. Es handelt sich hier nicht um ein Vermächtnis, das ihr im Hafen verprassen könnt. Es handelt sich um ein Vermächtnis, das sich weder verschleudern, verlieren noch stehlen lässt.» Die Männer ziehen Bargeld dem Nachruhm vor , denkt Penhaligon, aber wenigstens hören sie mir zu. «Ein abschließendes Wort noch, bevor wir den Choral anstimmen. Das letzte Loblied in Nagasaki erklang, als einheimische Christen für ihren Glauben an den wahren Gott von den Klippen gestoßen wurden, die wir gestern passiert haben. Ich möchte, dass ihr dem Statthalter von Nagasaki an diesem historischen Tag eine Botschaft schickt, nämlich, dass die Briten anders als die Niederländer niemals um des schnöden Profites willen auf ein Bild unseres Erlösers treten werden. Also singt nicht wie schüchterne Schulknaben. Singt wie Krieger. Und eins, und zwei, und drei, und -»
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XXXV
Das Seezimmer im Haus des Faktors auf Dejima
Am Morgen des 19. Oktober 1800
«Wer Schreckbild über Schreckbild klar ihm vor die Seele schafft ...»
Jacob de Zoet geht am Aussichtsfenster die Warenbestandslisten durch und traut seinen Ohren nicht ...
«... stürzt selbst in Schmach sich und Gefahr, doch stählt des Gläub’gen Kraft.»
... aber so unwahrscheinlich es auch ist, in der Bucht von Nagasaki wird ein Choral gesungen.
«Den schreckt keines Leuen Grimm und keines Riesen Ungestüm ...»
Jacob tritt hinaus auf die Veranda.
«... ein Pilgerim zu sein.»
Das Meer atmet ein bei den ungeraden Verszeilen, bei den geraden atmet es aus.
«Nicht böser Geist, nicht Teufelsbrut kann fürchterlich ihm sein.»
Jacob schließt die Augen, um dem dahingleitenden englischen Text zu lauschen ...
«Des Sieges Bürge ist sein Mut, das Erbe nennt er sein.»
... und jede neue Verszeile vom Nachhall der vorangegangenen zu lösen.
«Drum fliehen vor ihm Tand und Pracht, nichts schreckt ihn, was ein Mensch auch sagt ...»
Der Choral ist Wasser und Sonnenlicht, und Jacob wünscht sich, er hätte Anna geheiratet.
«Er ringt eifrig Tag und Nacht, ein Pilgerim zu sein.»
Der Pastorenneffe wartet auf den nächsten Vers, aber der Gesang ist vorbei.
«Gefälliges Liedchen», bemerkt Marinus in der Tür.
Jacob dreht sich um. «Sie haben Choräle einmal als ‹Lieder für Kinder, die sich im Dunkeln fürchten› bezeichnet.»
«Ach, wirklich? Nun, im Herbst des Lebens wird man mit seinen Urteilen milder.»
«Das ist noch nicht einmal einen Monat her, Marinus.»
«Oh. Nun, wie mein Freund, der Dekan, zu sagen pflegt», Marinus lehnt sich an das Geländer, «wir sind fromm genug, um zu hassen, aber nicht fromm genug, um zu lieben. Das neue Amt steht Ihnen ausgezeichnet, wenn ich das bemerken darf.»
«Das Amt gehört Faktor van Cleef, und ich hoffe sehr, dass er bis zum Abend zurück ist. Vielleicht erwäge ich in unbarmherzigen Momenten, den Engländern ein Lösegeld zu zahlen, damit sie Fischer behalten, aber Melchior van Cleef ist, an den Maßstäben der Kompanie gemessen, ein aufrechter Mensch - und bei nur vier auf Dejima verbliebenen Beamten sind wir mehr als unterbesetzt.»
Marinus blickt blinzelnd in den Himmel. «Sie sollten etwas zu sich nehmen. Eelattu und ich haben Ihnen aus der Küche gedünsteten Fisch mitgebracht ...»
Sie gehen ins Esszimmer, und Jacob setzt sich bewusst auf seinen alten Platz. Er erkundigt sich bei Marinus, ob er über Erfahrung im Umgang mit britischen Marineoffizieren verfügt.
«Weniger, als Sie vielleicht glauben. Ich habe mit Joseph Banks und einigen englischen und
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