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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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die Männer Lesen, Rechnen und Schreiben und verfasst für die Analphabeten Briefe.
    «‹Doch nun ermahne ich euch, unverzagt zu sein; denn keiner von euch wird umkommen ...›»
    Eine kaufmännische Ader hat der Kaplan auch - und im Frachtraum fünfzig Ballen bengalischen Chintz.
    «‹... nur das Schiff geht verloren. Denn diese Nacht ...›» Das Beste an Wily ist jedoch, dass er Bibellesungen mit Meeresbezug und markige Predigten liebt.
    «‹... trat der Engel des Gottes, dem ich gehöre und dem ich diene, zu mir und sprach ...›»
    Penhaligon lässt den Blick durch die Reihen seiner Phoebusianer streifen.
    «‹Fürchte dich nicht, Paulus; und siehe, Gott hat dir alle geschenkt, die mit dir fahren.›»
    Darunter sind Leute aus seiner Heimat Cornwall, aus Bristol, von der Insel Man, den Hebriden ...
    «‹Um Mitternacht vermuteten die Schiffsleute, dass Land in der Nähe sei ...›»
    ... auch ein Quartett von den Färöer-Inseln sowie ein paar Yankees aus Connecticut.
    «‹... Und sie warfen das Senkblei aus und fanden zwanzig Faden Tiefe; und ein wenig weiter ...›»
    Und freigelassene Sklaven aus der Karibik, ein höflicher Tatar, ein Jude aus Gibraltar.
    «‹... loteten sie wieder und maßen fünfzehn Faden Tiefe ...›»
    Penhaligon denkt daran, wie selbstverständlich sich an Land die Menschen in verschiedene Nationen teilen.
    «‹... Da fürchteten sie, wir würden auf Klippen geraten, und warfen ...›»
    Er denkt daran, wie das Meer die Grenzen zwischen den Menschen auflöst.
    «‹... hinten vom Schiff vier Anker aus und wünschten, dass es Tag würde.›»
    Er betrachtet die Mischlinge und Mulatten: Männer, von Europäern ...
    «‹Als aber die Seeleute vom Schiff zu fliehen versuchten ...›»
    ... mit einheimischen Frauen gezeugt: Sklavinnen, die von ihren Vätern für ein paar Eisennägel verschachert wurden ...
    «‹... sagte Paulus zu dem Hauptmann und zu den Soldaten: Wenn diese nicht auf dem Schiff bleiben, könnt ihr nicht gerettet werden.›»
    Penhaligon erblickt Hartlepool, das Halbblut, und während er an die Ausschweifungen seiner eigenen Jugendzeit zurückdenkt, fragt er sich, ob einer dieser Liebschaften vielleicht ein kaffeebrauner oder mandeläugiger Sohn entsprungen ist, der auch dem Ruf der See gefolgt ist und nun an seinen unbekannten Vater denkt. Der Kapitän erinnert sich an seinen Traum und hofft es.
    «‹Da hieben die Soldaten die Taue ab und ließen das Beiboot ins Meer fallen.›»
    Den Männern stockt ob dieses Leichtsinns der Atem. Ein Matrose ruft: «Das ist doch Irrsinn!»
    «So kann wenigstens keiner desertieren», sagt ein anderer, und Wren brüllt: «Hört dem Kaplan zu!»
    Aber Wily klappt die Bibel zu. «Ja, der Sturm heult, sie haben den Tod vor Augen, aber Paulus sagt: ‹Verlasst das Schiff, und ihr werdet ertrinken. Bleibt mit mir an Bord, und ihr werdet leben.› Würdet ihr ihm glauben? Würde ich es?» Der Kaplan zuckt schnaubend die Achseln. «Wer hier sprach, war nicht Paulus, der Apostel mit einem Heiligenschein über dem Kopf, sondern ein in Ketten gelegter Gefangener, ein Ketzer aus einem entlegenen Winkel des Römischen Reiches. Trotzdem überzeugte er die Soldaten, die Boote zu kappen, und die Apostelgeschichte erzählt davon, dass zweihundertsechsundsiebzig Leute durch Gottes Gnade gerettet wurden. Aber warum ist die Mannschaft, ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Zyprioten, Libanesen und Palästinern, Paulus gefolgt? War es seine Stimme, sein Gesicht oder ... etwas anderes? Ach, wenn ich es wüsste, wäre ich jetzt Erzbischof Wiley. Aber so bin ich hier bei euch.» Einige der Männer lachen. «Ich behaupte nicht, dass der Glaube immer vor dem Ertrinken rettet - zu viele fromme Christen sind auf See gestorben, die mich der Lüge zeihen würden. Aber eines verspreche ich: Der Glaube wird eure Seele vor dem Tod erretten. Ohne Glauben ist der Tod tatsächlich ein Ertrinken, das Ende allen Seins, und welcher gescheite Mensch würde sich nicht davor fürchten? Mit einem Glauben aber ist der Tod nur das Ende dieser Reise, die wir Leben nennen, und der Anfang einer ewigen Reise in Begleitung unserer Lieben, frei von Kummer und Beschwernissen unter dem Geleit unseres Schöpfers ...»
    Das Tauwerk knarrt, als die aufsteigende Sonne den Morgentau erwärmt.
    «Mehr habe ich euch an diesem Sonntag nicht zu sagen. Unser Kapitän wird noch ein paar Worte an euch richten.»
    Penhaligon betritt, widerwillig auf seinen Stock gestützt, die Kanzel. «Es

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