Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
schottischen Philosophen korrespondiert, aber noch beherrsche ich ihre Sprache nicht. Aber Sie haben während Ihres Aufenthaltes in London doch sicher ein paar Offiziere kennen gelernt. Wie lang waren Sie dort? Zwei Jahre, drei?»
«Vier insgesamt. Vom Hauptspeicher meines Dienstherrn war es nur ein kurzer Weg am Fluss entlang zu den East India Docks, und so sah ich Hunderte von Linienschiffen ein- und aussegeln: Es waren die schönsten Schiffe der Royal Navy, das heißt, die schönsten auf der Welt. Aber der Kreis meiner englischen Bekanntschaften beschränkte sich auf die Arbeiter in den Speichern sowie Schreiber und Buchhalter. Die hohen Tiere und Uniformträger hätten den kleinen Angestellten mit dem breiten niederländischen Akzent gar nicht bemerkt.»
Der Diener d’Orsaiy erscheint in der Tür. «Dolmetscher Goto hier, Herr Faktor.»
Jacob blickt sich nach van Cleef um, aber dann fällt es ihm wieder ein. «Führe ihn herein, d’Orsaiy.»
Goto betritt mit einer der Lage angemessenen ernsten Miene den Raum. «Guten Morgen, Herr amtierender Faktor», der Dolmetscher verbeugt sich, «und Dr. Marinus. Ich störe bei Frühstück, Verzeihung. Aber Inspektor in Zunft schickt mich eilig, um zu fragen nach Kriegslied von englisches Schiff. Singen Engländer dieses Lied vor Angriff?»
«Angriff?» Jacob eilt zurück ins Seezimmer. Er beobachtet die Fregatte durch das Fernrohr, aber ihre Position ist noch dieselbe, und erst jetzt erkennt er das Missverständnis. «Nein, das war kein Kriegslied, Herr Goto, das war ein Choral.»
Goto ist verwirrt. «Was ist ‹Choral› oder wer?»
«Ein Choral ist ein Lied, das die Christen für ihren Gott singen. Es ist ein Gebet.»
Der amtierende Faktor beobachtet weiter die Fregatte: Am Bug geschieht etwas.
«In Hörweite von Papenberg», bemerkt Marinus. «Ich weiß nicht, wer behauptet hat, die Geschichte habe keinen Humor, aber derjenige ist zu früh gestorben.» Goto kann nicht ganz folgen, aber er versteht, dass der heilige Shōgun-Erlass gegen das Christentum missachtet wurde. «Sehr ernst und sehr schlecht», murmelt er. «Sehr ...», er sucht nach einem anderen Wort, «... sehr ernst und sehr schlecht.»
«Wenn ich mich nicht täusche ...», Jacob blickt weiter durch das Fernrohr, «ist dort etwas im Gange.»
Die Versammlung hat sich aufgelöst, und das Sonnensegel wird niedergeholt.
«Ein Mann in einer hafergelben Jacke steigt die Strickleiter hinunter ...»
Ein paar Leute helfen ihm in das Beiboot, das steuerbords am Bug vertäut ist.
Eines der japanischen Wachtboote, die die Fregatte umkreisen, wird herbei gewunken.
«Es sieht so aus, als sei Stellvertreter Fischer freigelassen worden ...»
Jacob hat die Mole nicht mehr betreten, seit er vor fünfzehn Monaten auf Dejima angekommen ist. Bald wird der Sampan in Rufnähe sein. Er erkennt Dolmetscher Sagara, der neben Peter Fischer am Bug sitzt. Der summende Ponke Ouwehand verstummt. «Wenn man hier draußen steht, kann man den Tag kaum noch erwarten, an dem wir dieses Gefängnis hinter uns lassen, nicht wahr?»
Jacob denkt an Orito und zuckt zusammen. «Ja.»
Marinus stopft schleimigen Seetang in einen Sack. «Porphyra umbilicalis. Die Kürbisse werden entzückt sein.»
Etwa zwanzig Meter vor der Mole legt Fischer die Hände an den Mund und ruft dem Empfangskomitee zu: «Da kehre ich Dejima vierundzwanzig Stunden den Rücken, und schon inszeniert der amtierende Faktor de Zoet einen Staatsstreich!» Die heiteren Worte klingen steif und gereizt. «Ob Sie mir wohl genauso rasch in den Sarg folgen würden?»
«Wir hatten keine Ahnung», ruft Ouwehand zurück, «wie lange wir führerlos sein würden.»
«Der Anführer ist zurück, amtierender Stellvertreter Ouwehand! Welch ein Wust von Beförderungen! Ist der Affe jetzt zum Koch aufgestiegen?»
«Lassen wir Titel Titel sein», sagt Jacob, «wir freuen uns, dass Sie wieder bei uns sind, Peter.»
«Die Freude ist ganz meinerseits, Herr Kontorleiter!» Das Boot schrammt an der Mole entlang, und Fischer springt wie ein Siegesheld an Land. Er landet unglücklich und rutscht auf den Steinen aus.
Jacob eilt ihm zu Hilfe. «Wie geht es Faktor van Cleef?»
Fischer steht alleine auf. «Van Cleef geht es gut. Sehr gut sogar. Er sendet seine herzlichsten Grüße.»
«Herr de Zoet.» Dolmetscher Sagara steigt mit Hilfe seines Dieners und einer Wache aus dem Boot. «Wir haben Brief von englischer Kapitän an Statthalter. Ich bringe jetzt, so keine Verzögerung.
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