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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Tropen tropfte Pech durch die Fugen und verbrannte uns die Haut, und in jeder wachen oder schlafenden Minute hatten wir nur einen Gedanken: Wasser, Wasser, Muttergottes, gib uns Wasser ... Unsere Ration war ein Becher am Tag. Es schmeckte wie Matrosenpisse, und das war es sicher meistens auch. Einer von achten starb auf der Überfahrt, jedenfalls nach meiner Rechnung. ‹Neusüdwales› - zu Hause ein gefürchtetes Wort - bedeutete plötzlich ‹Erlösung›, und als ein alter Mann aus Galway uns von Virginia erzählte, von breiten Stränden, grünen Feldern und Indianermädchen, die sich für einen Eisennagel stoßen lassen, dachten wir: Die Botany Bay ist wie Virginia, nur ein bisschen weiter weg ...»
    Wachtmeister Kosugis Leute patrouillieren unter dem Seezimmer vorbei.
    «Aber Sydney Cove war nicht Virginia. Sydney Cove, das waren ein paar Dutzend armselige, mühsam bestellte Beete, wo alle Keimlinge verdorrten, wenn überhaupt was aus der Erde spross. Sydney Cove war ein trockenes Kaff mit Schwärmen von Stechmücken, Feuerameisen und tausend hungernden Sträflingen in zerrissenen Zelten. Die Seesoldaten hatten die Waffen, und so hatten sie auch die Macht, das Essen, das Kängurufleisch und die Frauen. Als Zimmermann musste ich Baracken für die Soldaten, Möbel, Türen und so weiter bauen. Vier Jahre vergingen, und die ersten amerikanischen Händler tauchten auf. Es war kein leichtes Leben, aber wenigstens starben die Sträflinge nicht mehr wie die Fliegen. Als ich die Hälfte meiner Strafe abgesessen hatte, fing ich an davon zu träumen, eines Tages Irland wiederzusehen. Aber fünfundneunzig kam eine neue Einheit Seesoldaten. Mein neuer Major wollte eine schöne neue Kaserne und ein Haus in Parramatta haben und forderte mich und sechs, sieben andere an. Er war ein Jahr in Kinsale stationiert gewesen und hielt sich für einen Kenner des irischen Volks. ‹Die Trägheit des Gälen›, prahlte er oft, ‹lässt sich am besten mit der Peitsche kurieren›, und er war sehr freigebig mit seiner Medizin. Haben Sie die Striemen auf meinem Rücken gesehen?»
    Jacob nickt. «Sogar Gerritszoon war beeindruckt.»
    «Erwiderten wir seinen Blick, schlug er uns für unsere Dreistigkeit. Wichen wir seinem Blick aus, schlug er uns für unsere Durchtriebenheit. Wenn wir vor Schmerz schrien, kriegten wir die Peitsche zu spüren, weil wir simulierten. Schrien wir nicht, peitschte er uns für unsere Sturheit. Es war das Paradies für ihn. Wir waren sechs Leute aus Cork, die aufeinander aufpassten, und einer davon war Brophy, der Stellmacher. Eines Tages stachelte der Major Brophy so lange an, bis er zurückschlug. Brophy wurde in Eisen gelegt, und der Major verurteilte ihn zum Tode durch den Strang. Er sagte zu mir: ‹Höchste Zeit, dass Parramatta seinen eigenen Galgen bekommt, Muntervary, und du wirst ihn bauen.› Nun, ich weigerte mich. Brophy wurde an einem Baum aufgeknüpft, und ich wurde zu einer Woche Schweinekoben und hundert Peitschenhieben verurteilt. Der Schweinekoben war eine Zelle von vier Fuß in Länge, Breite und Höhe, sodass der Insasse sich weder ausstrecken noch aufrecht stehen konnte, und Sie können sich ja vorstellen, dass es dort stank wie die Pest und vor Fliegen und Maden nur so wimmelte. In meiner letzten Nacht im Koben kam der Major zu mir und verkündete, dass er die Peitsche eigenhändig schwingen würde, und er versprach mir, nach fünfzig Hieben würde ich bei Brophy in der Hölle schmoren.»
    Jacob fragt: «Gab es denn keine höhere Instanz, an die Sie sich hätten wenden können?»
    Twomey lacht bitter. «Als Mitternacht vorbei war, hörte ich ein Geräusch. Ich rief: ‹Wer ist da?› Es kam keine Antwort, aber ein Meißel wurde unter der Tür durchgeschoben, gefolgt von ein paar Brotlaiben in Segeltuch und einem Wassersack. Dann hörte ich jemanden weglaufen. Mit dem Meißel löste ich im Nu einige Bretter und rannte los. Der Vollmond schien hell wie die Sonne. Das Lager hatte keine Mauern, müssen Sie wissen, denn seine Mauer war die Leere. Es flohen andauernd Sträflinge. Die meisten kamen zurückgekrochen und bettelten um Wasser. Manche wurden von Schwarzen eingefangen, die dafür mit Grog entlohnt wurden. Die übrigen starben, da bin ich mir inzwischen sicher ... Die meisten von uns hatten keine Bildung, und als sich das Gerücht verbreitete, man würde nach China kommen - ja, China! -, wenn man in nordnordöstlicher Richtung durch die rote Wüste ginge, siegte die Hoffnung über den

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