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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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-«hat keine Macht in Holland?»
    «Nein, gar keine. Sein gesamter Besitz wurde beschlagnahmt.»
    «Haben Niederländer noch ... Gehorsam oder Achtung für Statthalter?»
    «Die Orangisten, ja, aber die Patrioten - die Mitglieder der neuen Regierung - nicht.»
    «Dann viele Niederländer sind entweder Orangisten oder Patrioten?»
    «Ja, aber für die meisten zählt, dass sie genug zu essen haben und dass im Land Frieden herrscht.»
    «Dann ist Dokument, das wir übersetzen, ‹Vertrag von Kew› ...», Goto runzelt die Stirn, «... Befehl von Wilhelm V. an Niederländer, sie sollen geben niederländische Besitzungen an Engländer, für sicheren Schutz?»
    «Ja, aber die Frage ist: Erkennen wir Niederländer die Amtsgewalt Wilhelms noch an?»
    «Englischer Kapitän schreibt: ‹Alle niederländischen Kolonien halten sich an den Vertrag von Kew.›»
    «Ja, das schreibt er, aber vermutlich ist das eine Lüge.»
    Es klopft zaghaft an der Tür. Jacob ruft: «Ja bitte?»
    Con Twomey tritt ein, zieht den Hut und wirft Jacob einen dringenden Blick zu. Twomey würde uns nicht wegen einer Lappalie stören , denkt Jacob. «Meine Herren, fahren Sie bitte ohne mich fort. Herr Twomey und ich haben etwas im Seezimmer zu besprechen.»
     
    «Es geht um ...», der Ire balanciert den Hut auf dem Schenkel, «... zu Hause sagen wir ‹eine Leiche im Keller›.»
    «Auf Walcheren sagt man ‹eine Leiche im Gemüsebeet›.»
    «Dann wachsen auf Walcheren wohl Riesenrüben. Darf ich Englisch sprechen?»
    «Bitte. Ich sage Bescheid, wenn ich Ihre Hilfe brauche.»
    Der Zimmermann atmet tief durch. «Ich heiße nicht Con Twomey.»
    Jacob denkt nach. «Sie sind nicht der erste gepresste Seemann, der einen falschen Namen angibt.»
    «In Wahrheit heiße ich Fiacre Muntervary, und ich wurde nicht gepresst. Ich verließ Irland auf viel abenteuerlichere Weise. An einem eisigen Martinstag rutschte ein Steinblock aus dem Zuggeschirr und zerquetschte meinen Vater wie einen Käfer. Ich gab mein Bestes, ihn zu ersetzen, aber die Welt ist nun mal nicht barmherzig: Im Jahr drauf fiel die Ernte aus, Menschen strömten aus der ganzen Provinz nach Cork, und unser Vermieter verdreifachte die Miete. Wir brachten Pas Werkzeug zum Pfandleiher, aber bald hauste ich mit Mutter, fünf Schwestern und unserem kleinen Bruder Padraig in einer verfallenen Scheune. Padraig holte sich eine Erkältung, und es gab ein Maul weniger zu stopfen. Ich versuchte, Arbeit zu finden, im Hafen, bei den Brauereien, überall hab ich’s versucht, aber ohne Erfolg. Also ging ich zurück zum Pfandleiher und bat ihn um Pas Werkzeug. Der Kerl sagte: ‹Das ist verkauft, mein Hübscher, aber wir haben Winter, und die Leute brauchen Mäntel. Für gute Mäntel zahle ich blanke Schillinge. Wir verstehen uns?›» Twomey hält inne, um Jacobs Reaktion abzuschätzen.
    Jacob hütet sich davor zu zögern. «Sie hatten eine Familie zu ernähren.»
    «Im Theater klaute ich einen Damenmantel. ‹Ich brauche Herrenmäntel, mein Hübscher›, sagte der Pfandleiher und gab mir ein beschnittenes Dreipennystück. Das nächste Mal stahl ich aus einer Anwaltskanzlei einen Herrenmantel. ‹Den würde nicht mal eine Vogelscheuche anziehen›, schimpfte der Pfandleiher. ‹Streng dich mehr an!› Beim dritten Mal wurde ich geschnappt wie ein Rebhuhn. Zwei Wochen saß ich im Gefängnis von Cork, dann kam die Gerichtsverhandlung. Das einzige freundliche Gesicht im Saal war das vom Pfandleiher. Er sagte zu dem englischen Richter: ‹Ja, Euer Ehren, das ist der Bengel, der mir die Mäntel angeboten hat.› Ich rief, er wäre ein verdammter Lügner, der mit geklauten Mänteln handelt. Der Richter sagte, Gott würde jedem vergeben, der seine Taten aufrichtig bereut, und verurteilte mich zu sieben Jahren Neusüdwales. Nach nicht mal fünf Minuten war alles vorbei. Im Hafen von Cork wartete die Queen , ein Sträflingsschiff, darauf, gefüllt zu werden, und ich trug meinen Teil dazu bei. Weder Ma noch meine Schwestern besaßen das Schmiergeld, um an Bord zu kommen und mir Lebewohl zu sagen, und im April - ich spreche vom Jahr einundneunzig - segelte die Queen mit der dritten Flotte aus ...»
    Jacob folgt Twomeys Blick über die blaue See zur Phoebus.
    «Ein paar hundert Sträflinge saßen zusammengepfercht in dem finsteren, stickigen Frachtraum: Kakerlaken, Kotze, Fliegen, Pisse, und die Ratten nagten an den Lebenden wie an den Toten - groß wie Dachse waren die Viecher. In kalten Gewässern zitterten wir. In den

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