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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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abreisen.» Ohne Brille ist der Wachtturm schärfer, und der weitsichtige Jacob steckt sie in die Rocktasche. Ein Schreck durchfährt ihn, als er feststellt, dass seine Taschenuhr verschwunden ist, aber dann fällt ihm ein, dass er sie Yūan geschenkt hat. «Können Sie mir sagen, wie spät es ist, Herr Boerhaave?»
    «Die Backbordwache hat vor kurzem sechs Glasen geschlagen.»
    Bevor Jacob erklären kann, dass er die Zeit an Land meint, schlägt die Glocke des Ryūgaji-Tempels die Stunde des Drachen: Zu dieser Jahreszeit heißt das Viertel nach sieben.
    Die Stunde meines Abschieds, denkt Jacob, ist Japans Abschiedsgeschenk.
    Die Gestalt auf dem Wachtturm ist zu einem winzigen i geschrumpft.
    Genauso könnte ich vom Achterdeck der Shenandoah ausgesehen haben , doch Jacob bezweifelt, dass Unico Vorstenbosch je zurückgeblickt hat. Aber Kapitän Penhaligon hat es vermutlich getan ... Jacob, der «niederländische Krämer», nimmt sich vor, dem Engländer eines Tages einen Brief zu schreiben, um zu erfahren, was ihn an jenem Herbsttag davon abhielt, die Karronaden der Phoebus abzufeuern: War es christliche Barmherzigkeit, oder waren es rein pragmatische Überlegungen, die ihn veranlassten, das Feuer einzustellen?
    Aber wahrscheinlich , muss er einräumen, ist auch Penhaligon inzwischen tot ...
    In der Nähe erklimmt ein schwarzer Matrose ein Seil, und Jacob denkt an Ogawa Uzaemons Worte, dass es den Anschein habe, als seien fremdländische Schiffe von Phantomgestalten und Spiegelbildern bevölkert, die durch verborgene Pforten kommen und wieder verschwinden. Jacob spricht ein kurzes Gebet für die Seele des Dolmetschers, während er auf das unruhige Kielwasser blickt.
    Die Gestalt auf dem Wachtturm ist nur noch ein verschwommener Fleck. Jacob winkt.
    Der Fleck winkt mit großen Armbewegungen zurück.
    «Ein guter Freund von Ihnen, Herr de Zoet?», fragt Kadett Boerhaave.
    Jacob hört auf zu winken. Die Gestalt auch. «Mein Sohn.»
    Boerhaave ist verunsichert. «Sie lassen ihn zurück?»
    «Ich habe keine andere Wahl. Seine Mutter war Japanerin, und so lautet das Gesetz. Verschließung ist Japans Schutz vor der Außenwelt. Dieses Land will nicht verstanden werden.»
    «Aber - wann - wann sehen Sie Ihren Sohn wieder?»
    «Ich sehe ihn heute - jetzt - zum letzten Mal ... jedenfalls in dieser Welt.»
    «Wenn Sie es wünschen, könnte ich ein Fernrohr für Sie entleihen.»
    Jacob ist über die Anteilnahme des Kadetten gerührt. «Vielen Dank, das ist nicht nötig. Ich könnte sein Gesicht doch nicht richtig erkennen. Aber darf ich Sie um heißen Tee aus der Kombüse bitten?»
    «Natürlich, Herr de Zoet - es könnte eine Weile dauern, wenn der Herd noch nicht angezündet ist.»
    «Das macht nichts. Er ... er wird mir die Brust warm halten.»
    «Sehr wohl.» Boerhaave geht zur Hauptluke und verschwindet unter Deck.
    Yūans Silhouette geht in den Hintergrund Nagasakis über. Jacob bittet Gott, dass sein Sohn ein besseres Leben haben möge als Thunbergs schwindsüchtiger Sohn. Dafür wird er von nun an jeden Abend beten. Doch der ehemalige Faktor weiß, wie sehr die Japaner fremdländischem Blut misstrauen.
    Yūan mag der begabteste Schüler seines Meisters sein, aber er wird nie seinen Titel erben und nie ohne Erlaubnis des Statthalters heiraten oder die Stadt verlassen dürfen. Er ist zu sehr Japaner ; um das Land zu verlassen , weiß Jacob, und zu wenig Japaner, um einer von ihnen zu sein.
    Auf der Steilküste schießen einhundert Ringeltauben aus den Buchenkronen. Selbst Briefe gelangen nur mit Hilfe unvoreingenommener Fremder ins Land. Antworten sind drei, vier oder sogar fünf Jahre unterwegs.
    Der verbannte Vater reibt sich eine Wimper aus dem tränenden Auge.
    Er stampft mit den Füßen, um die Morgenkälte zu vertreiben. Seine Knie beschweren sich.
    Während er zurückblickt, sieht Jacob die kommenden Monate und Jahre wie die Seiten eines Buches. Bei seiner Ankunft in Batavia bestellt ihn der neue Generalgouverneur in seinen Palast im erholsamen Buitenzorg, landeinwärts hoch über dem schädlichen Dunst Batavias gelegen. Man bietet ihm einen Traumposten im neuen Gouverneursamt an, aber er lehnt ab mit der Begründung, die Sehnsucht nach der Heimat sei zu groß. Wenn ich nicht in Nagasaki bleiben kann , denkt er, kehre ich Asien lieber ganz den Rücken. Im Monat darauf ist er auf dem Schiff nach Europa: Die Dämmerung hüllt Sumatra in Nebel, und plötzlich ertönt klar und leise wie ein Cembalo die Stimme von Dr.

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