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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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passenden Gesprächsgegenstand.
    Als die Frau den rothaarigen, grünäugigen Ausländer bemerkt, stockt ihr vor Schreck der Atem.
    «Fräulein», sagt Jacob auf Niederländisch, «ich - ich - ich - bitte haben Sie keine Angst - ich ...»
    Die Frau mustert ihn und gelangt zu dem Schluss, dass er keine Bedrohung darstellt.
    «Böser Affe», sie findet ihre Fassung wieder, «stiehlt Fuß.»
    Er nickt, und erst dann begreift er: «Sie sprechen Niederländisch, Fräulein?»
    Ihr Achselzucken heißt: ein wenig. Sie sagt: «Böser Affe - hier hereinkommen?»
    «Ja, ja. Da oben sitzt der haarige Teufel.» Jacob zeigt auf William Pitt auf den Kisten. Um die Frau zu beeindrucken, geht er auf den Affen zu. «William Pitt: Gib sofort das Bein heraus. Her damit!»
    Der Affe legt das Bein neben sich, fasst sich an den rhabarberroten Penis, zupft daran wie ein Harfenspieler in einem Irrenhaus und stößt durch gefletschte Zähne kreischendes Gelächter aus. Jacob fürchtet, dass die Geste das Schamgefühl seines Gastes verletzen könnte, aber die Frau dreht den Kopf zur Seite, um ihr Lachen zu verbergen, und entblößt dabei ein Brandmal, dass sich fast über die gesamte linke Gesichtshälfte zieht. Das Mal ist dunkel und gescheckt und, aus der Nähe, überaus auffällig. Wie kann die Zofe einer Kurtisane , überlegt Jacob, mit einer solchen Entstellung ihren Lebensunterhalt verdienen? Zu spät wird ihm bewusst, dass er sie anstarrt. Sie schiebt das Kopftuch zurück und hält Jacob die Wange hin. Hier , sagt ihre Geste. Ergötze dich dran!
    «Ich ...» Jacob ist tief beschämt. «Bitte vergeben Sie mir die Unhöflichkeit, Fräulein ...»
    Aus Furcht, dass sie ihn nicht versteht, macht er eine tiefe Verbeugung und zählt bis fünf.
    Die Frau setzt das Kopftuch wieder auf und wendet sich, ohne Jacob zu beachten, William Pitt zu. Sie spricht den Affen fröhlich auf Japanisch an.
    Der Dieb presst das Bein an sich wie ein verlassenes Kind seine Puppe.
    Entschlossen, diesmal eine bessere Figur abzugeben, geht Jacob auf den Kistenstapel zu.
    Er springt auf eine danebenstehende Truhe. «Hör mir zu, du flohstichiger Sklave ...»
    Eine warme Flüssigkeit, die nach Roastbeef riecht, platscht auf seine Wange.
    Als er dem warmen Strahl ausweichen will, verliert er das Gleichgewicht ...
    ... fällt rücklings von der Truhe und landet auf dem Fußboden.
    Wer Schmach empfindet , denkt Jacob, als der Schmerz nachlässt, muss wenigstens einen Funken Stolz übrig haben ...
    Die Frau lehnt sich an Hanzaburos Lager.
    ... aber mein Stolz ist dahin, denn auf mich hat ein Affe gepisst.
    Sie tupft sich die Augen ab. Ihr ganzer Körper bebt unter dem fast stummen Lachen.
    So lacht Anna, denkt Jacob. Anna lacht genauso.
    «Mir tut leid.» Sie holt tief Luft, ihr Mund zuckt. «Verzeihen Sie meine ... Unhöflichheit ?»
    «Unhöflichkeit, Fräulein.» Er geht zum Wassereimer. «Mit ‹k›.»
    «Unhöflichkeit», wiederholt sie, «mit ‹k›. Es ist nichts komisch.»
    Jacob wäscht sich das Gesicht, aber um den Affenurin aus seinem zweitbesten Leinenhemd zu entfernen, muss er es ausziehen. Es vor ihr zu tun, ist völlig ausgeschlossen.
    «Sie möchten», sie wühlt in der Tasche ihres Ärmels, zieht zuerst einen geschlossenen Fächer heraus, den sie auf eine Kiste mit Rohzucker legt, und dann ein quadratisches Stück Papier, «Gesicht abwischen?»
    «Sehr freundlich.» Jacob nimmt das Papier und tupft sich Stirn und Wangen ab.
    «Handeln Sie mit Affe», schlägt sie vor. «Machen Sie Tausch für Bein.»
    Jacob denkt über den Vorschlag nach. «Die Bestie ist tabaksüchtig!»
    «Ta-bak?» Sie klatscht entschlossen in die Hände. «Sie haben?»
    Jacob gibt ihr den Lederbeutel mit seinem letzten Java-Tabak.
    Sie hängt den Köder an einen Besenstiel und schwenkt ihn vor William Pitts Horst hin und her.
    Der Affe streckt die Hand aus, die Frau zieht den Köder unter leisen, bittenden Worten fort ...
    ... bis William Pitt das Bein loslässt und sich seine frische Beute schnappt.
    Das Bein fällt der Frau vor die Füße. Sie sieht Jacob triumphierend an, wirft den Besen weg und hebt das amputierte Bein so selbstverständlich auf, wie eine Landarbeiterin eine Rübe aus der Erde zieht. Der abgesägte Knochen schaut aus dem blutigen Fleisch hervor, und die Zehen sind ungewaschen. Das Fenster über ihnen klappert: William Pitt ist mit seiner Belohnung über die Dächer der Langen Straße geflüchtet. «Tabak ist verloren», sagt die Frau. «Tut mir sehr leid.»
    «Das

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