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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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ungewöhnlichen Ultimatum um eine Finte handelt. Er hat alle gebeten, den Faktor persönlich zu fragen, weil er genau weiß, dass niemand sich traut. Da die Fracht der letzten Handelszeit mit der gesunkenen Octavia verlorenging, wären viele bei der Rückkehr nach Batavia ärmer als vorher.
    «Wer war die eigenartige Frau», van Cleef presst den Saft einer Zitrone in ein venezianisches Glas, «im Speicher Doorn?»
    «Fräulein Aibagawa», antwortet Goto, «ist Tochter von Arzt und Gelehrten.»
    Aibagawa. Jacob kostet jede Silbe einzeln aus. Ai-ba-ga-wa ...
    «Statthalter gibt Erlaubnis», sagt Iwase, «bei niederländische Arzt zu studieren.»
    Und ich habe sie «Gehilfin einer Dirne» genannt , denkt Jacob und windet sich innerlich vor Scham.
    «Komisches Weibsstück», sagt Fischer, «das sich in einem Operationssaal wohlfühlt.»
    «Das schöne Geschlecht», wendet Jacob ein, «kann sich als ebenso belastbar erweisen wie wir.»
    «Herr de Zoet», der Preuße bohrt sich in der Nase, «sollte seine famosen Sinnsprüche unbedingt veröffentlichen.»
    «Fräulein Aibagawa», erklärt Ogawa, «ist eine Hebamme. Sie ist Blut gewöhnt.»
    «Ich dachte», wendet Vorstenbosch ein, «es sei einer Frau verboten, Dejima zu betreten, solange sie keine Kurtisane, deren Zofe oder eines von den alten Weibern aus der Zunft ist.»
    «Es ist verboten», bestätigt Yonekizu ungehalten. «Noch nie da gewesen. Nie.»
    «Fräulein Aibagawa», Ogawa erhebt die Stimme, «arbeitet fleißig als Hebamme - für reiche Kunden und für arme Leute, die nicht können bezahlen. Neulich sie hat Statthalter Shiroyamas Sohn zu Geburt geholfen. Geburt war schwer, und anderer Arzt gab auf, aber sie weiter versucht und war erfolgreich. Statthalter Shiroyama war sehr froh. Er gab Fräulein Aibagawa Wunsch als Belohnung. Wunsch ist, bei Dr. Marinus auf Dejima zu studieren. Statthalter hat Versprechen gehalten.»
    «Frau studiert in Krankenhaus», erklärt Yonekizu, «ist nicht gut.»
    «Aber sie hat die Blutauffangschale ruhig gehalten», sagt Con Twomey, «mit Dr. Marinus gut Niederländisch gesprochen, und sie hat den Affen gestellt, während ihre männlichen Kollegen wirkten, als seien sie seekrank.»
    Wenn ich den Mut aufbrächte , denkt Jacob, ich würde ihr ein Dutzend Fragen stellen: ein Dutzend Dutzend.
    «Sorgt ein Mädchen», fragt Ouwehand, «denn bei den Jungen nicht für störende Erregung?»
    «Nicht mit der Speckscheibe», Fischer schwenkt seinen Gin, «die ihr im Gesicht klebt.»
    «Das war sehr ungalant, Herr Fischer», sagt Jacob. «Solche Worte entehren Sie.»
    «Man kann das Ding nicht einfach übersehen, de Zoet! In meiner Heimatstadt würden wir sie ‹Taststock› nennen, denn nur ein Blinder würde sie anfassen.»
    In seiner Phantasie schlägt Jacob dem Preußen mit dem Delfter Becher die Zähne ein.
    Eine Kerze säuft ab; Wachs rinnt am Kerzenhalter hinunter; das Rinnsal wird hart.
    «Ich bin sicher», sagt Ogawa, «Fräulein Aibagawa macht eines Tages frohe Heirat.»
    «Welches ist die einzig sichere Kur gegen die Liebe?», fragt Grote. «Heiraten, natürlich.»
    Eine Motte fliegt ins Kerzenlicht; sie fällt flatternd auf den Tisch.
    «Armer Ikarus.» Ouwehand zerquetscht sie mit seinem Bierseidel. «Wirst du denn niemals schlau?»

    Nachtinsekten singen, sägen, bohren, flirren; rascheln, stechen, summen, schwirren.
    Hanzaburo schnarcht in dem Kabuff vor Jacobs Zimmer.
    Jacob liegt wach im Bett unter einem Mückenzelt.
    Ai, Mund öffnet sich, ba , Lippen berühren sich, ga , Zungenwurzel, wa, Lippen.
    Ohne es zu wollen, spielt er die Szene von gestern Mittag immer wieder durch.
    Sein flegelhaftes Benehmen lässt ihn schaudern, und er versucht vergeblich, das Manuskript zu ändern.
    Er öffnet den Fächer, den sie im Speicher Doorn vergessen hat. Er fächert sich Luft zu.
    Das Papier ist weiß. Griff und Streben sind aus Paulowniaholz.
    Ein Nachtwächter schlägt mit Holzklöppeln die japanische Uhrzeit.
    Der teigige Mond steht hinter dem halb japanischen, halb niederländischen Fenster ...
    ... Glasscheiben schmelzen sein Licht, Papier filtert es zu Kreidestaub.
    Bald geht die Sonne auf. Die Hauptbücher von 1796 warten im Speicher Doorn.
    Ich liebe meine teure Anna, rezitiert Jacob, und Anna liebt mich. Seine Haut schwitzt unter dem glänzenden Schweißfilm. Das Bettzeug ist nass.
    Fräulein Aibagawa ist so unerreichbar wie das Porträt einer Frau ...
    Er bildet sich ein, ein Cembalo zu hören.
    ... das man in einem Haus in

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