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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Bewachern schützen.»
     
    Die Schäden, die das Beben verursacht hat, sind groß, aber nicht verheerend. Lelie, einer der vier Speicher in niederländischem Besitz, befindet sich nach «Snitkers Feuer» ohnehin im Wiederaufbau, und das Balkenwerk hat gehalten. Die Türen von Doorn stehen noch, und der beschädigte Eik wurde von van Cleef und Jacob gegen Plünderer verteidigt, bis Con Twomey und der Zimmermann der Shenandoah , ein geisterhafter Quebecer, die Türen wieder eingehängt hatten. Kapitän Lacy berichtete, sie hätten das Beben an Bord zwar nicht gespürt, aber der Lärm sei so ohrenbetäubend gewesen wie bei einer Schlacht zwischen Gott und dem Teufel. Außerdem sind in mehreren Speichern eine große Zahl Kisten umgestürzt: Alle müssen auf Bruch- und Auslaufschäden untersucht werden. Unzählige Dachziegel müssen erneuert und Tonwaren neu beschafft werden; das völlig zerstörte Badehaus muss auf Kosten der Kompanie instand gesetzt, der eingestürzte Taubenschlag ausgebessert und die Nordseite des Gartenhauses ganz neu verputzt werden. Dolmetscher Kobayashi gab bekannt, dass die Bootshäuser mit den Sampans der Kompanie eingestürzt seien, und sprach von «unbeschreiblich hohen Reparaturkosten». Vorstenbosch erwiderte scharf: «Unbeschreiblich hoch für wen?», und schwor, nicht einen penning herauszurücken, bevor er und Twomey den Schaden mit eigenen Augen begutachtet hätten. Der Dolmetscher zog mit zornesstarrer Miene davon. Vom Wachtturm aus sah Jacob, dass nicht alle Bezirke Nagasakis so glimpflich davongekommen waren wie Dejima: Er zählte zwanzig eingestürzte große Häuser und vier schwere Brände, die Rauch in den Spätaugusthimmel bliesen.

    Im Speicher Eik gehen Jacob und Weh die umgestürzten Kisten mit den venezianischen Spiegeln durch: Jeder Spiegel muss aus der Strohumhüllung genommen und als unbeschädigt, gesprungen oder kaputt registriert werden. Hanzaburo rollt sich auf einem Haufen Sackleinen zusammen, und kurz darauf ist er eingeschlafen. Bis auf wenige Geräusche ist es still an diesem Vormittag: Das leise Klirren der Spiegel, die zur Seite gelegt werden, Weh, der Betelnüsse kaut, das Kratzen von Jacobs Feder und die Rufe der Träger an der Seepforte, die Zinn und Blei an Land bringen. Die Zimmermänner, die gewöhnlich auf der anderen Seite des Wiegeplatzes am Speicher Lelie arbeiten, sind, so vermutet Jacob, in Nagasaki mit dringenderen Arbeiten beschäftigt.
    «Das sind nicht sieben Jahre Pech, sondern siebenhundert, was, Herr de Z.?»
    Jacob hat Arie Grote nicht kommen hören.
    «Wäre doch verzeihlich, wenn man da ein bisschen durcheinanderkommt und aus Versehen ’n paar heile Spiegel als ‹kaputt› verzeichnet ...»
    «Soll das», Jacob gähnt, «eine unverhohlene Aufforderung zum Betrug sein?»
    «Eher sollen wilde Hunde mir den Kopf abreißen! Übrigens, ich hab eine Verabredung für uns getroffen. Du», Grote wendet sich an Weh, «kannst dich dünnemachen: Wir erwarten einen Herrn, der an deiner kackbraunen Haut Anstoß nehmen würde.»
    «Weh bleibt hier», bestimmt Jacob. «Und um wen handelt es sich bei diesem ‹Herrn›?»
    Grote hört ein Geräusch und späht nach draußen. «Himmel, Arsch, die sind zu früh .» Er zeigt auf eine Kistenwand und befiehlt Weh: «Versteck dich! Herr de Z., vergessen Sie die noble Haltung gegenüber unseren schwarzen Brüdern, hier geht’s um viel, viel, um Berge von Geld.»
    Der junge Sklave sieht Jacob an: Jacob nickt widerwillig, und Weh gehorcht.
    «Ich fungiere nur als Makler zwischen Ihnen und ...» Dolmetscher Yonekizu und Wachtmeister Kosugi betreten den Speicher. Sie schenken Jacob keinerlei Beachtung. Es folgen vier junge, drahtige und gefährlich wirkende Leibwächter.
    Dann erscheint ihr Herr: ein älterer Mann, der daherschreitet, als würde er über Wasser gehen.
    Er trägt einen himmelblauen Umhang, und sein Kopf ist kahl geschoren. Aus seinem Gürtel schaut ein Schwert hervor.
    Er ist der Einzige im Lagerhaus, dessen Gesicht nicht von Schweiß glänzt.
    Aus welchem verschwommenen Traum, überlegt Jacob, kenne ich dein Gesicht?
    «Fürstabt Enomoto vom Lehen Kyōga», sagt Grote feierlich. «Mein Teilhaber, Herr de Zoet.»
    Jacob verbeugt sich: Die Lippen des Abts kräuseln sich zu einem leisen Lächeln des Wiedererkennens.
    Er wendet sich an Yonekizu: Seine erhabene Stimme duldet keine Unterbrechung.
    «Abt sagt», übersetzt Yonekizu, «als er Sie sah erstes Mal in Residenz von Statthalter, er glaubte, Sie und

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