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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Gast? Wenn der Brief schon gestern Abend eingetroffen ist, warum wurde er mir dann nicht unverzüglich überbracht?» Weil , denkt Jacob, die Verlautbarung eines Shōguns einem päpstlichen Edikt gleichkommt und es Hochverrat wäre, ihr nicht das gebührende Zeremoniell zu erweisen. Aber er hält den Mund: Ihm ist aufgefallen, dass sein Mentor ihn seit einigen Tagen zunehmend kühl behandelt. Es sind nur kleine Gesten: ein lobendes Wort für Peter Fischer, eine schroffe Bemerkung zu Jacob, aber der einst «unentbehrliche de Zoet» fürchtet, dass sein Stern verblasst. Auch van Cleef zieht es vor zu schweigen: Seit langer Zeit schon beherrscht er die Kunst des Höflings, rhetorische von ernst gemeinten Fragen zu unterscheiden. Kapitän Lacy lehnt sich auf dem knarrenden Stuhl zurück, verschränkt die Hände hinter dem Kopf und pfeift leise durch die Zähne. Auf der japanischen Seite des Tisches sitzen die Dolmetscher Kobayashi und Iwase mit zwei ranghohen Schreibern. «Kammerherr des Statthalters», entschuldigt sich Iwase, «wird Shōguns Nachricht bald bringen.»
    Unico Vorstenbosch betrachtet mürrisch seinen goldenen Siegelring.
    «Was Wilhelm der Schweiger», denkt Lacy laut, «wohl zu seinem Beinamen gesagt hat?»
    Die Standuhr tickt laut und würdevoll. Die Männer sind erhitzt und schweigen.
    «Himmel heute Nachmittag ...», bemerkt Dolmetscher Kobayashi, «... ist unbeständig.»
    «Das Barometer in meiner Kajüte zeigt an», stimmt Lacy zu, «dass es kräftig pusten wird.»
    Dolmetscher Kobayashis Miene ist höflich, aber ausdruckslos.
    «‹Pusten› bedeutet, dass es Sturm gibt», erklärt van Cleef, «oder ein Seeunwetter oder einen Taifun.»
    «Ah, ah», Dolmetscher Iwase versteht, «‹Taifun› ... tai-fū , wir sagen.»
    Kobayashi tupft sich den kahlrasierten Scheitel. «Beerdigung für Sommer.»
    «Wenn der Shōgun das Kupferquantum nicht erhöht hat», Vorstenbosch verschränkt die Arme, «wird es Dejimas Beerdigung sein: Dejimas und seiner auf Daunen gebetteten Dolmetscher. Apropos Dolmetscher, Herr Kobayashi, darf ich aus Ihrem wohlüberlegten Schweigen bezüglich des Diebstahls schließen, dass die Wiederbeschaffung des entwendeten Porzellangegenstands noch keinen Deut vorangeschritten ist?»
    «Untersuchung geht weiter», sagt der vereidigte Dolmetscher.
    «Im Schneckentempo», murmelt der unzufriedene Faktor. «Selbst wenn wir auf Dejima bleiben, werde ich Generalgouverneur van Overstraten davon berichten, mit welcher Gleichgültigkeit Sie sich für das Eigentum der Kompanie einsetzen.»
    Jacobs scharfe Ohren hören eilende Schritte; auch van Cleef horcht auf.
    Der Vize geht zum Fenster und blickt die Lange Straße hinunter. «Ah, endlich.»
    Zwei Wachen postieren sich zu beiden Seiten der Tür. Ein Fahnenträger geht voran: Seine Standarte zeigt die drei Malvenblätter des Tokugawa-Shōgunats. Es folgt Kammerherr Tomine mit einem Lacktablett: Darauf liegt die Schatulle mit der Schriftrolle. Die Anwesenden verbeugen sich achtungsvoll vor dem Schriftstück, ausgenommen Vorstenbosch. Er sagt: «Treten Sie ein, Kammerherr, setzen Sie sich und lassen Sie hören, ob Ihre Hoheit in Edo beschlossen hat, diese verdammte Insel von ihrem Leid zu erlösen.»
    Jacob bemerkt das leise Zucken in den japanischen Gesichtern.
    Iwase übersetzt bis «Setzen Sie sich» und zeigt auf einen Stuhl.
    Tomine blickt angewidert auf die fremdländischen Möbel, aber ihm bleibt keine andere Wahl.
    Er stellt das Lacktablett vor Dolmetscher Kobayashi ab und verbeugt sich.
    Kobayashi erwidert die Verbeugung, dann verbeugt er sich vor der Schriftrolle und schiebt das Tablett zum Faktor.
    Vorstenbosch nimmt die zylinderförmige Schatulle, die an einem Ende mit Malvenwappen der Fahne verziert ist, und versucht, sie auseinanderzuziehen. Als das nicht gelingt, versucht er es mit Drehen. Als auch das nicht gelingt, sucht er nach einem Riegel oder einem ähnlichen Verschluss.
    «Verzeihung, Herr Vorstenbosch», murmelt Jacob, «Sie müssen im Uhrzeigersinn drehen.»
    «Ah, verkehrt herum und auf dem Kopf, wie alles in diesem verfluchten Land ...»
    Heraus gleitet ein Pergament, das fest um zwei Pflöcke aus Kirschholz gewickelt ist.
    Vorstenbosch entrollt das Pergament in europäischer Manier senkrecht auf dem Tisch.
    Jacob hat einen guten Blick auf das Dokument. Die Spalten mit den kunstreich getuschten Kanji-Schriftzeichen verschaffen dem Auge des Sekretärs Momente des Wiedererkennens: Der Niederländischunterricht, den er

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