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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Ogawa erteilt, ist so gestaltet, dass beide Seiten voneinander lernen, und sein Notizbuch ist schon mit über fünfhundert Schriftzeichen gefüllt. In einer Spalte erkennt der heimliche Student das Wort geben, dann Edo und in der nächsten Spalte das Zeichen für zehn ...
    «Natürlich», seufzt Vorstenbosch, «schreibt niemand am Hof des Shōguns Niederländisch. Hätte einer von euch Wunderknaben», er sieht die Dolmetscher an, «vielleicht die Güte?»
     
    Die Standuhr zählt eine Minute ab, zwei Minuten, drei ...
    Kobayashis Augen wandern abwärts, aufwärts und quer über die Spalten der Schriftrolle.
    Die Nachicht ist weder sonderlich lang noch kompliziert, denkt Jacob. Er schindet Zeit.
    Die zähe Lektüre des Dolmetschers wird von nachdenklichem Nicken begleitet.
    In den anderen Räumen der Faktorenresidenz gehen Diener ihren Pflichten nach.
    Vorstenbosch tut Kobayashi nicht den Gefallen, seine Ungeduld zu äußern.
    Kobayashi gibt ein rätselhaftes Brummen von sich und öffnet den Mund ...
    «Ich lese noch einmal, um sicherzugehen kein Fehler.»
    Wenn Blicke tatsächlich töten könnten, denkt Jacob, während er Vorstenbosch beobachtet, würde Kobayashi jetzt schreien wie die Verdammten im Fegefeuer.
    Eine weitere Minute vergeht. Vorstenbosch befiehlt seinem Sklaven Philander: «Hol mir Wasser.»
    Jacob studiert weiter die Schriftrolle des Shōguns.
    Zwei Minuten vergehen. Philander kommt mit einem Wasserkrug zurück.
    «Wie», Kobayashi wendet sich an Iwase, «kann man ‹rōju› auf Niederländisch ausdrücken?»
    Die bedächtige Antwort des Kollegen beinhaltet die Wörter ‹erster Minister›.
    «Dann», verkündet Kobayashi, «ich bin bereit, Nachricht zu übersetzen.»
    Jacob taucht seine spitzeste Feder ein.
    «Nachricht lautet: ‹Shōguns Erster Minister sendet herzlichste Grüße an Generalgouverneur van Overstraten und Obersten der Niederländer auf Dejima, Vorstenbosch. Erster Minister bittet um ...›», der Dolmetscher blickt auf die Schriftrolle, «‹... um eintausend Fächer aus feinsten Pfauenfedern. Niederländisches Schiff muss Auftrag zurück nach Batavia bringen, damit Fächer aus Pfauenfedern kommen Handelszeit nächstes Jahr.›»
    Jacob kritzelt eine Zusammenfassung.
    Kapitän Lacy rülpst. «Meine Frühstücksaustern ... waren ein wenig alt ...»
    Kobayashi sieht Vorstenbosch an, als würde er auf eine Antwort warten.
    Vorstenbosch trinkt das Wasserglas in einem Zug leer. «Sprechen Sie mit mir über Kupfer.»
    Kobayashi sieht ihn mit dreister Unschuldsmiene an und sagt: «In Nachricht steht nichts von Kupfer, Herr Faktor.»
    «Erzählen Sie mir nicht, Herr Kobayashi», eine Ader pocht an Vorstenboschs Schläfe, «das ist alles , was in der Nachricht steht.»
    «Nein ...» Kobayashi starrt auf die linke Seite der Schriftrolle. «Erster Minister auch hofft, Herbst in Nagasaki ist schön, und Winter ist mild. Aber ich glaube, nicht wichtig.»
    «Eintausend Pfauenfederfächer.» Van Cleef stößt einen Pfiff aus.
    «Feinste Pfauenfederfächer», korrigiert ihn Kobayashi ungeniert.
    «Bei uns in Charleston», sagt Kapitän Lacy, «nennen wir so was einen Bettelbrief.»
    «Hier in Nagasaki», sagt Iwase, «wir nennen das Befehl von Shōgun.»
    «Wollen die Federfuchser in Edo etwa mit uns spielen?», fragt Vorstenbosch. «Gute Nachricht», sagt Kobayashi, «dass Ältestenrat Debatte über Kupfer fortsetzen. Nicht sagen ‹nein›, ist halb sagen ‹ja›.»
    «Die Shenandoah segelt in sieben bis acht Wochen.»
    «Kupferquantum», Kobayashi spitzt die Lippen, «ist schwierige Sache.»
    «Im Gegenteil, die Sache ist ganz einfach. Wenn bis Mitte Oktober nicht zwanzigtausend Pikol Kupfer auf Dejima eingetroffen sind, wird das einzige Fenster, das dieses unwissende Land zur Welt besitzt, geschlossen. Bildet Edo sich etwa ein, dass der Generalgouverneur nur blufft? Glaubt man vielleicht, ich hätte das Ultimatum selbst geschrieben?»
    All das , sagt Kobayashis Achselzucken, liegt nicht in meiner Macht.
    Jacob legt die Feder beiseite und betrachtet eingehend die Schriftrolle des Ersten Ministers.
    «Wie antworten Edo auf Pfauenfedern?», fragt Iwase. «‹Ja› kann helfen Kupfer ...»
    «Warum dauern meine Gesuche bis zum jüngsten Tag», fragt Vorstenbosch aufgebracht, «während wir, wenn der Hof etwas will» - er schnipst mit den Fingern -, « so handeln sollen? Glaubt der Minister vielleicht, Pfauen seien Tauben? Lässt sich Sein Erhabenes Auge nicht mit ein paar Windmühlen

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