Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
und Piet Baert stehen auf, und ihre Schatten huschen durch den kerzenerhellten Raum. Der Kartentisch besteht aus einer ausgehängten Tür auf zwei Böcken. Ivo Oost bleibt tabakkauend sitzen, Wybo Gerritszoon spuckt in, nein, gegen den Spucknapf, und Arie Grote ist reizend wie ein Frettchen, das ein Kaninchen begrüßt. «Wir hatten die Hoffnung fast aufgegeben, dass Sie meiner Einladung noch folgen!» Er entkorkt die erste der zwölf Buddeln Rum, die aufgereiht auf einem Bord stehen.
«Ich wollte schon vor einer ganzen Weile kommen», sagt Jacob, «aber die Arbeit hielt mich zurück.»
«Den guten Ruf von Herrn Snitker zu begraben», bemerkt Oost, «ist sicher anstrengend.»
«Ganz recht.» Jacob lässt sich nicht ins Bockshorn jagen. «Das Korrigieren gefälschter Hauptbücher ist äußerst anstrengend. Sehr gemütlich haben Sie es hier, Herr Grote.»
«Wenn ich in ’nem Pisspott leben wollte», Grote zwinkert, «wär ich in Enkhuizen geblieben.»
Jacob nimmt Platz. «Was wird gespielt, meine Herren?»
«Bube und Teufel - ein Spiel unserer germanischen Vettern.»
«Ach, Karnöffel. Ich habe es in Kopenhagen einige Male gespielt.»
«Hätte nicht gedacht», sagt Baert, «dass Sie sich mit Karten auskennen.»
«Pastorensöhne - und Pastorenneffen - sind nicht so naiv, wie viele glauben.»
«Jeder Stift», Grote nimmt einen Nagel aus seinem Vorrat, «ist ein Stuiver von unserem Lohn. Vor jeder Runde wird der Einsatz um einen Nagel erhöht. Sieben Stiche pro Runde, wer die meisten Stiche macht, kassiert den Pott. Sind alle Nägel alle, geht’s ab in die Falle.»
«Und wie lösen wir unseren Gewinn ein, wenn die Löhne erst in Batavia ausbezahlt werden?»
«Kleiner Taschenspielertrick: Hier ...», er wedelt mit einem Zettel, «... wird festgehalten, wer wem wie viel abgenommen hat, und Vize van Cleef trägt die neuen Guthaben ins Lohnbuch ein. Herr Snitker hatte nichts dagegen, weil er wusste, dass ein bisschen Gaudi und Geselligkeit seine Leute bei der Stange hält.»
«Herr Snitker war ein gerngesehener Gast», sagt Ivo Oost, «bevor er seine Freiheit verlor.»
«Fischer, Ouwehand und Marinus halten sich von unserer lustigen Runde fern, aber Sie , Herr de Z., scheinen aus anderem Holz geschnitzt.»
Neun Buddeln Rum stehen auf dem Bord. «Also bin ich von zu Hause abgehauen, bevor mein Alter mir wirklich die Leber aus dem Leib gerissen hat», erzählt Grote, «und hab mich in Amsterdam auf die Suche nach Reichtum, Glück und der wahren Liebe gemacht.» Er schenkt sich noch ein Glas uringelben Rum ein. «Aber mehr als die Liebe, die man vorher bar und nachher mit ’nem Tripper bezahlt, hab ich nicht gefunden, und am Reichtum konnt’ ich nicht mal schnuppern. Nee, Hunger, Eis und Schnee und Taschendiebe, die sich wie Hunde auf die Schwachen stürzen, mehr hab ich nicht kennengelernt ... Also dachte ich mir: Erst investieren, dann kassieren , und hab mein ‹Erbe› in ’ner Schubkarre voll Kohlen angelegt, aber ’ne Horde Kohlenmänner warf meine Karre in die Gracht - und mich gleich hinterher. ‹Das ist unser Revier, du friesischer Lump›, schrien sie mir vom Ufer zu, ‹komm erst wieder, wenn du Badetag hast!› Das eiskalte Wasser war nicht bloß ’ne Lehre in Sachen Handelsmonopole. Nee! Ich kriegte so hoch Fieber, dass ich ’ne ganze Woche lang nicht aus meinem Zimmer konnte, und dann setzte mein reizender Vermieter mich mit ’nem Arschtritt vor die Tür. Mit Löchern in den Sohlen und nichts zu fressen außer dem stinkenden Nebel saß ich vor der Nieuwe Kerk und überlegte: Klau ich mir was zu beißen, solange ich noch stark genug bin zum Verduften, oder bring ich’s hinter mich und bleib hier sitzen, bis ich erfroren bin ...»
«Klauen und verduften», sagt Ivo Oost, «ist doch klar ...»
«... als plötzlich so ’n Kerl mit Zylinderhut und vornehmem Spazierstock daherstolziert kommt und mich ganz freundlich fragt: ‹Weißt du, wer ich bin, Junge?› ‹Nein›, sag ich, und er erwidert: ‹Ich, mein Junge, bin dein künftiger Reichtum.› Ich dachte, er gibt mir was zu futtern, weil ich in seine Kirche komme, und so halb verhungert, wie ich war, wär ich für ’n Teller dicke Suppe sogar Jude geworden, aber nein! ‹Du hast doch sicher schon von der stolzen, ehrwürdigen Niederländischen Ostindien-Kompanie gehört, nicht wahr?› ‹Wer hat das nicht?›, antworte ich. Darauf er: ‹Dann weißt du sicher auch, welche glänzenden Aussichten die Kompanie für willige und
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