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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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heute in Ehren, den zweiten, na ja, die Aussichten sind ganz passabel, dass Arie Grote nicht ins Armengrab wandert, wenn seine Zeit gekommen ist. Und mein dritter Schwur? Oh, ja, ich hab den halben Gulden noch in derselben Nacht zurückgekriegt!»
    Wybo Gerritszoon bohrt sich in der Nase. «Wie das?»
    Grote mischt die Karten. «Ich gebe, Kameraden.»
     
    Fünf Buddeln Rum warten auf dem Bord. Die Arbeiter trinken mehr als der Sekretär, aber Jacob spürt schon das Glühen der Trunkenheit in den Beinen. Karnöffel , denkt er, wird mich heute Abend nicht zu einem reichen Mann machen . «Schreiben», sagt Ivo Oost, «haben sie uns im Waisenhaus gelehrt und Rechnen und die Bibel: Jede Menge Bibel, zweimal täglich in der Kirche. Wir mussten die Evangelien von vorne bis hinten auswendig lernen, und für jeden Fehler gab’s was mit dem Stock. Ein Pastor hätte aus mir werden können! Aber wer lässt sich schon von einem unehelichen Kind die Zehn Gebote predigen?» Er teilt an jeden Spieler sieben Karten aus. Dann dreht er die oberste Karte auf dem Stapel um. «Karo ist Trumpf.»
    «Angeblich», Grote spielt die Kreuz-Acht, «hat die Kompanie mal einen Schrumpfkopfmacher, schwarz wie ’n Schornsteinfeger, in die Pastorenschule nach Leiden geschickt. Nach der Ausbildung sollte er zurück in seinen Dschungel gehen und den Kannibalen das Licht des Herrn zeigen, damit sie friedfertiger werden. Weil, Bibeln sind billiger als Gewehre.»
    «Ja, aber Gewehre machen viel mehr Spaß», bemerkt Gerritszoon. «Bumm, bumm, bumm, bumm!»
    «Was taugt schon ein Sklave», fragt Grote, «der von Kugeln durchsiebt ist?»
    Baert küsst seine Spielkarte und spielt die Kreuz-Dame.
    «Das einzige Weibsstück auf der Welt», sagt Gerritszoon, «das dir das erlaubt.»
    «Mit dem Gewinn von heute Abend», sagt Baert, «kann ich mir ein goldhäutiges Fräulein bestellen.»
    «Haben Sie im Waisenhaus von Batavia auch Ihren Namen erhalten, Herr Oost?» Wärest du nüchtern, würdest du diese Frage nicht stellen, schilt Jacob sich im Stillen.
    Aber Oost, von Grotes Rum milde gestimmt, ist nicht gekränkt. «Ja, ganz recht. ‹Oost› kommt von ‹Oost-Indische Compagnie›, die das Waisenhaus gegründet hat, und dass ich den ‹Osten› im Blut habe, lässt sich wohl kaum leugnen. ‹Ivo› heiße ich, weil ich am neunzehnten Mai auf der Treppe vor dem Waisenhaus ausgesetzt wurde, dem Gedenktag des heiligen Ivo. Herr Drijver vom Waisenhaus war so freundlich, hin und wieder zu erwähnen, dass Ivo die männliche Form von ‹Eva› ist, zur Erinnerung, dass ich ein Kind der Sünde bin.»
    «Gott interessiert sich dafür, wie ein Mensch sich verhält», erklärt Jacob, «aber nicht für die Umstände seiner Geburt.»
    «Leider wurde ich nicht von Gott aufgezogen, sondern von Wölfen wie Drijver.»
    «Herr de Zoet», sagt Twomey, «Sie sind dran.»
    Jacob spielt die Herz-Fünf; Twomey legt die Vier ab.
    Oost streicht sich mit den Karten über die vollen Lippen. «Oft stieg ich aus dem Dachfenster über den Palisanderbäumen. Im Norden, hinter dem alten Fort, schimmerte ein Streifen Blau ... oder Grün ... oder Grau ... und durch den Gestank der Gosse roch ich die See. Die Schiffe vor Onrust sahen aus wie lebendige Wesen, und ihre Segel blähten sich ... ‹Du bist nicht mein Zuhause, und ihr seid nicht meine Herren›, sagte ich dann zum Waisenhaus und zu den Wölfen, und dann blickte ich hinaus zur See und sagte: ‹Denn mein Zuhause bist du.› An manchen Tagen glaubte ich, dass sie mich hörte und mir antwortete: ‹Ja, das bin ich, und bald rufe ich dich zu mir.› Ich weiß, das war nur Einbildung, aber ... man trägt sein Kreuz, so gut man kann, oder? So vergingen die Jahre, und wenn die Wölfe mich für meine Missetaten schlugen ... träumte ich von der See, auch wenn ich weder Dünung noch Sturzwellen kannte ... und noch nie den Fuß auf ein Schiff gesetzt hatte ...» Er legt die Kreuz-Fünf auf den Tisch.
    Baert sticht die anderen Karten. «Vielleicht bestell ich mir gleich zwei goldhäutige Fräuleins für die Nacht.»
    Gerritszoon spielt die Karo-Sieben und ruft: «Teufel!»
    «Der soll dich holen», schimpft Baert, der seine Kreuz-Zehn verliert, «du verdammter Judas .»
    «Und wie war es», fragt Twomey, «als die See dich rief, Ivo?»
    «Mit zwölf Jahren - das heißt, wenn der Heimleiter entschied , dass wir zwölf waren - begannen wir mit der ‹produktiven Arbeit›. Die Mädchen mussten nähen, weben und in den Bottichen in der

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