Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
flennen, du tropfender Schlappschwanz.»
«Du hast gut reden», ein harter Zug tritt in Baerts Gesicht, «weil du ’ne stinkende Sau bist, die noch nie wer geliebt hat, aber meine einzige wahre Liebe war ganz wild drauf, mich zu heiraten, und ich dachte: Endlich hat das Pech mich verlassen. Nur der Segen von Neeltjes Vater fehlte noch, und wir wären zum Altar geschwebt. Bierträger war er, in Saint-Pol-sur-Mer, und da wollte ich an dem Abend hin. Aber Duinkerke ist ’ne komische Stadt: Die Straßen führten dahin zurück, wo ich hergekommen war, und es pisste wie aus Kübeln, und weil’s schon dunkel wurde, ging ich in eine Schenke. Die Möpse von dem Schankfräulein warn wie zwei Ferkel, und wie ich sie nach dem Weg frag, strahlt sie mich ganz betörend an und sagt: ‹Ach herrje, hast du dich etwa auf die falsche Seite von der Stadt verirrt, mein armes Lämmchen?› ‹Bitte, Fräulein›, sag ich, ‹ich will nur nach Saint-Pol-sur-Mer.› Und sie sagt: ‹Was hast du’s denn so eilig, gefällt dir unser Wirtshaus nicht?›, und streckt mir ihre beiden Ferkel hin. ‹Es ist schön bei Ihnen, Fräulein›, antworte ich, ‹aber Neeltje, meine Liebste, wartet dort mit ihrem Vater, damit ich um ihre Hand bitten und der See den Rücken kehren kann.› Das Schankfräulein fragt: ‹Ach, du bist Matrose?›, und ich sag: ‹Das war ich, ja, aber jetzt nicht mehr.› Da ruft sie durchs ganze Wirtshaus: ‹Wer trinkt nicht auf Neeltje, das glücklichste Mädchen in Flandern?›, und dann drückt sie mir ein Glas Gin in die Hand und sagt: ‹Hier, um dir die Knochen zu wärmen.› Als Nächstes verspricht sie mir, dass ihr Bruder mich nach Saint-Pol-sur-Mer bringt, weil nachts würden sich ’ne Menge Schurken in Duinkerke rumtreiben. Also denke ich: Ja! Endlich, endlich hat das Pech mich verlassen , und heb das Glas zum Mund.»
«Pfundiges Mädchen», bemerkt Arie Grote. «Wie heißt die Schenke, nebenbei bemerkt?»
«Bevor ich Duinkerke das nächste Mal verlasse, heißt sie Zur Rauchenden Asche: Der Gin läuft mir die Kehle runter, mir dreht sich alles, und dann wird’s dunkel. Ich hab böse Träume, und wie ich wieder aufwache, schwanke ich, als wäre ich auf See, aber Leute sitzen auf mir drauf und zerquetschen mich wie eine Traube in der Weinpresse. Das ist noch der Traum, denke ich, aber es war kein Traum, und ich schreie: ‹Lieber Gott, bin ich tot?› Ein Dämon kichert: ‹So leicht flutscht mir kein Fisch vom Haken!›, und dann sagt ’ne grimmige Stimme: ‹Du bist gepresst, mein Freund. Wir fahren auf der Vengeur du Peuple und segeln durch den Kanal nach Westen.› Ich frag: ‹Die Vengeur du was?›, und dann fällt mir Neeltje wieder ein, und ich schrei: ‹Aber ich muss heute Abend um meine Braut anhalten!›, und der Teufel sagt: ‹Für dich gibt’s hier nur eine Braut, Freundchen, und das ist die See.› Lieber Gott im Himmel , denke ich, Neeltjes Ring , und ich winde meinen Arm frei, um nachzusehen, ob er noch in meiner Jacke steckt, aber er ist weg. Ich fluche. Flenne. Knirsche mit den Zähnen. Aber nichts hilft. Am nächsten Morgen werden wir an Deck gebracht und am Schandeck aufgestellt. Um die zwanzig Südniederländer waren wir, und dann erscheint der Kapitän. Er ist eine miese Pariser Ratte, und sein Erster Offizier, ein Baske, ist ein großes zotteliges Tier. ‹Ich bin Kapitän Renaudin, und ihr seid meine Freiwilligen. Wir haben den Befehl, einen Konvoi, der Getreide von Amerika bringt, sicher ans republikanische Ufer zu geleiten. Die Briten werden versuchen, uns aufzuhalten. Wir werden Kleinholz aus ihnen machen! Noch Fragen?› Ein Wagemutiger - ein Schweizer - meldet sich zu Wort: ‹Kapitän Renaudin: Ich gehöre der mennonitischen Kirche an, und mein Glaube verbietet mir zu töten.› Renaudin sagt zu seinem Ersten Offizier: ‹Dann wollen wir diesen Mann der Nächstenliebe nicht länger in Verlegenheit bringen›, und schwups geht das zottelige Tier auf den Schweizer zu und wirft ihn über Bord! Wir hören ihn um Hilfe schreien. Wir hören ihn um Hilfe betteln. Und dann ist er still. Der Kapitän sagt: ‹Sonst noch Fragen?› Na, ich war schnell wieder seefest, und zwei Wochen später, als die englische Flotte gesichtet wurde, lud ich in eine 24-Pfünder. Was dann kam, nennen die Franzosen die dritte Schlacht von Ouessant. Die Engländer nennen es ‹Glorreicher Erster Juni›. Wir beschossen uns gegenseitig aus drei Metern Entfernung, und für Johnny Roastbeef mag das
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