Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
dann, wenn der Missetäter - das heißt, der Schurke - weder Scham empfindet noch sich davor fürchtet, erwischt zu werden. ‹Mein guter Freund Herr Motogi wurde am helllichten Tag ausgeraubt.›»
«‹Herrn Vorstenboschs Teekanne›», fragt Kobayashi, «‹wurde am helllichten Tag gestohlen?›»
«Ein treffendes Beispiel», stimmt Jacob zu, froh, dass der Faktor nicht im Raum ist.
Die Dolmetscher erörtern verschiedene japanische Entsprechungen, bevor sie sich auf eine einigen.
«Vielleicht nächstes Wort», fährt Kobayashi fort, «ist einfach ... ‹ohnmächtig›.»
«‹Ohnmächtig› ist das Gegenteil von ‹mächtig› oder ‹stark›, also ‹schwach›.»
«Ein Löwe», schlägt Dr. Maeno vor, «ist stark, aber eine Maus ist ohnmächtig.»
Kobayashi nickt und blickt auf seine Liste. «Das nächste ist ‹selige Unwissenheit›.»
«Das bedeutet, über ein Unglück nicht Bescheid zu wissen. Solange man unwissend ist, ist man ‹selig›, das heißt ‹zufrieden›. Aber wenn man von dem Unglück erfährt, ist man traurig.»
«Ehemann ist in ‹seliger Unwissenheit›», schlägt Hori vor, «‹dass Ehefrau einen anderen liebt›?»
«Ja, Herr Hori.» Jacob lächelt und streckt die schmerzenden Beine aus.
«Letztes Wort», sagt Kobayashi, «ist aus Gesetzbuch: ‹Mangel an stichhaltigen Beweisen›.»
Bevor der Niederländer antworten kann, erscheint ein grimmiger Wachtmeister Kosugi in der Tür: Er wird begleitet von einem erschütterten Hanzaburo. Kosugi entschuldigt sich für das Eindringen und beginnt seinen Bericht, in dem es, wie Jacob mit wachsendem Unbehagen feststellt, um Hanzaburo und ihn selbst geht. An einer offenbar entscheidenden Wendung halten die Dolmetscher entsetzt den Atem an, und alle Blicke richten sich auf den verdutzten Niederländer. Das Wort für ‹Dieb›, dorobō , fällt mehrere Male. Motogi stellt dem Wachtmeister eine Frage und verkündet: «Herr de Zoet, Wachtmeister Kosugi bringt schlechte Nachricht. Diebe sind in Großes Haus gewesen.»
«Was?», stößt Jacob hervor. «Wann? Wie sind sie eingedrungen? Warum ?»
«Ihr Hausdolmetscher», antwortet Motogi, «glaubt, in dieser Stunde.»
«Was wurde gestohlen?» Jacob wendet sich an Hanzaburo, der sich offenbar davor fürchtet, dass man ihm die Schuld anlastet. «Was gibt es dort zu stehlen?»
Im Treppenhaus ist es nicht so finster wie sonst: Die Tür zu Jacobs Wohnung im ersten Stock wurde aufgebrochen, und als Jacob sein Zimmer betritt, stellt er fest, dass die Seemannskiste dasselbe Schicksal erlitten hat. Die Löcher an allen sechs Seiten lassen vermuten, dass die Diebe nach Geheimfächern gesucht haben. Der Anblick der unersetzlichen Bände und Skizzenbücher, die auf dem Fußboden verstreut liegen, ist für Jacob so schmerzlich, dass er sich unverzüglich daranmacht, sie aufzuheben. Dolmetscher Goto hilft ihm und erkundigt sich, ob Bücher gestohlen wurden.
«Das kann ich erst sagen», antwortet Jacob, «wenn ich alle aufgesammelt habe ...»
... aber dies scheint nicht der Fall zu sein. Sogar sein kostbares Wörterbuch ist noch da, wenn auch etwas zerfleddert.
Nach dem Psalter kann ich erst sehen , denkt Jacob, wenn ich allein bin.
Es sieht nicht so aus, als hätte er dazu so bald die Gelegenheit. Als er seine wenigen persönlichen Sachen zusammensammelt, marschieren Vorstenbosch, van Cleef und Peter Fischer die Treppe herauf, und im Nu drängen sich über zehn Leute in seinem engen Zimmer.
«Erst meine Teekanne», ruft der Faktor, «und nun dieser Vorfall.»
«Wir werden große Anstrengung machen», verspricht Kobayashi, «Diebe zu finden.»
Peter Fischer wendet sich an Jacob: «Wo war der Hausdolmetscher, als der Diebstahl geschah?»
Dolmetscher Motogi leitet die Frage an Hanzaburo weiter, der kleinlaut antwortet. «Er ist für eine Stunde an Land gegangen», sagt Motogi, «um sehr kranke Mutter zu besuchen.»
Fischer schnaubt verächtlich. « Ich wüsste, wo ich mit meinen Nachforschungen beginnen würde.»
«Welche Gegenstände haben die Einbrecher entwendet, Herr de Zoet?», erkundigt sich van Cleef.
«Mein restliches Quecksilber - vermutlich hatten die Diebe es darauf abgesehen - liegt zum Glück unter dreifachem Verschluss im Speicher Eik. Die Taschenuhr trug ich bei mir, und meine Brille, Gott sei Dank, ebenso. Auf den ersten Blick scheint es, als ...»
«Bei Gott, dem Allmächtigen!», fährt Vorstenbosch Kobayashi an. «Werden wir von Ihrer Regierung bei den Handelsgeschäften nicht
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