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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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schimmernde graue Haar und bindet es neu. «Was haben sie mitgenommen?»
    «Nichts ...» Er erinnert sich an Vorstenboschs Lüge. «Nichts von Wert.»
    «Bei Einbrüchen», Marinus hustet, «verordne ich eine Partie Billard.»
    «Billard spielen», erklärt Jacob feierlich, «ist das Letzte, was ich heute tun werde.»

    Jacobs Kugel rollt über den Tisch, prallt an der unteren Bande ab und bleibt eine Handbreit über Marinus’ Kugel an der oberen Ecktasche liegen. «Sie eröffnen, Herr Doktor. Um wie viele Punkte sollen wir spielen?»
    «Hemmij und ich haben die Zielmarke immer bei fünfhundertundeins gesetzt.»
    Eelattu presst Zitronensaft in trübe Gläser; der Saft verströmt sonnigen Duft.
    Eine sanfte Brise weht durch das Billardzimmer im Gartenhaus.
    Marinus konzentriert sich auf den Eröffnungsstoß ...
    Warum so plötzlich diese sonderbare Freundlichkeit? Jacob wird einfach nicht schlau aus dem Arzt.
    ... aber er verschätzt sich, und der Spielball trifft nicht Jacobs Kugel, sondern den roten Objektball.
    Jacob versenkt mühelos seinen eigenen und den roten Ball. «Soll ich den Spielstand notieren?»
    «Sie sind der Buchhalter. Eelattu, du kannst den Nachmittag freinehmen.»
    Eelattu bedankt sich und verlässt das Zimmer. Der Sekretär legt eine flotte Serie Karambolagen hin, und sein Punktestand wächst rasch auf fünfzig. Das sanfte Rollgeräusch der Bälle beruhigt seine aufgewühlten Nerven. Der Schrecken über den Einbruch , redet er sich ein, hat mich aus der Fassung gebracht. Es ist ausgeschlossen, dass es für Fräulein Aibagawa eine strafbare Tat ist, von einem Ausländer gezeichnet zu werden, selbst hier nicht. Sie hat mir schließlich nicht heimlich Modell gesessen . Als sein Konto auf sechzig Punkte angestiegen ist, überlässt Jacob den Tisch Marinus. Und außerdem , denkt der Sekretär, ist ein Blatt mit Zeichnungen noch lange kein Beweis, dass ich in die Frau vernarrt bin .
    Der Arzt, stellt Jacob erstaunt fest, spielt wie ein mittelmäßiger Laie.
    Und außerdem , berichtigt er sich, ist «vernarrt» nicht die treffende Umschreibung ...
    «Die Zeit wird einem wohl sehr lang hier, wenn das Schiff zurück nach Batavia segelt, nicht wahr?»
    «Den meisten, ja. Die Männer suchen Trost im Grog, im Tabak, in Intrigen, im Hass gegen unsere Gastgeber und bei leichten Mädchen. Ich für meinen Teil ...», Marinus misslingt ein einfacher Stoß, «... widme mich lieber der Botanik, meinen Studien, meiner Lehre und natürlich meinem Cembalo.»
    «Wie», Jacob kreidet das Queue ein, «gefallen Ihnen die Scarlatti-Sonaten?»
    Marinus setzt sich auf die gepolsterte Bank. «Ach, heischen wir Dankbarkeit?»
    «Keineswegs, Herr Doktor. Wie ich hörte, sind Sie Mitglied einer hiesigen Akademie der Wissenschaften.»
    «Die Shirandō-Akademie? Leider wird sie von der Regierung nicht gefördert. In Edo haben ‹Patrioten› das Sagen, die allen ausländischen Einflüssen misstrauen, und so sind wir offiziell nur eine von vielen Privatschulen. Inoffiziell sind wir eine Börse, an der rangakusha - Studenten der europäischen Wissenschaften und Künste - ihre Gedanken austauschen. Ōtsuki Monjurō, der Direktor, hat genügend Einfluss bei der Stadtregierung, um mir jeden Monat eine Einladung zu sichern.»
    «Ist Dr. Aibagawa», Jacob versenkt den roten Ball aus großer Entfernung, «auch Mitglied?»
    Marinus sieht seinen jungen Kontrahenten eindringlich an.
    «Ich frage aus reiner Neugier.»
    «Dr. Aibagawa ist ein begeisterter Astronom und besucht unsere Veranstaltungen, sooft seine Gesundheit es zulässt. Er war übrigens der erste Japaner, der Herschels neuen Planeten durch ein Teleskop beobachtete, das für einen abenteuerlichen Preis in Auftrag gegeben wurde. Eigentlich unterhalten wir uns mehr über Optik als über Medizin.»
    Jacob setzt die rote Kugel im D auf und überlegt, wie er einen Themawechsel verhindern kann.
    «Nachdem seine Frau und sein Sohn gestorben waren», fährt der Arzt fort, «heiratete Doktor Aibagawa eine jüngere Frau, eine Witwe, deren Sohn in die niederländische Medizin eingeführt werden sollte, um später Aibagawas Praxis zu übernehmen. Zu seiner Enttäuschung erwies sich der junge Mann als faul und unnütz.»
    «Darf Fräulein Aibagawa ...», der jüngere Mann bereitet sich auf einen wagemutigen Stoß vor, «... auch an den Treffen der Shirandō teilnehmen?»
    «Es gibt Gesetze, die sich gegen Sie stellen: Ihr Werben ist zwecklos.»
    «Gesetze.» Der gelochte Ball verschwindet

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