Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
neugieriges Gesicht auf. Ein niederländischer Sekretär, der Unkraut jätet wie ein Bauer, ist ein Anblick, den sich niemand entgehen lassen will. Hanzaburo lachte, als Jacob ihn um seine Hilfe bat, und als er merkte, dass die Bitte ernst gemeint war, täuschte er Rückenschmerzen vor, stopfte sich an der Gartenpforte eine Handvoll Lavendelblüten in die Tasche und verschwand. Arie Grote wollte Jacob wieder einmal seinen Hailederhut verkaufen, damit er so elegant schuften könne wie ein Gutsherr. Piet Baert bot ihm Unterricht im Billardspielen an, und Ponke Ouwehand zeigte hilfreich auf noch stehendes Unkraut. Jacob ist eine so anstrengende Arbeit nicht gewohnt, aber er stellt zufrieden fest, dass ihm das Gärtnern Freude macht. Das lebendige Grün beruhigt seine müden Augen, Karmingimpel picken Würmer aus der umgegrabenen Erde, und eine Maskenammer, deren Gesang klingt wie klapperndes Besteck, beobachten ihn von der leeren Zisterne aus. Faktor Vorstenbosch und Vize van Cleef sind in Nagasaki beim Fürsten von Satsuma, dem Schwiegervater des Shōguns, um ihre Forderungen nach einer größeren Kupfermenge durchzusetzen, und so herrscht im unbeaufsichtigten Dejima eine entspannte Atmosphäre. Die Famuli sind im Krankenhaus: Als Jacob mit der Hacke durch die Bohnenbeete geht, hört er Marinus’ Stimme durch das Fenster des Behandlungszimmers. Fräulein Aibagawa ist ebenfalls dort. Seit er ihr den kühn bemalten Fächer überreicht hat, hat Jacob sie nicht mehr gesehen, geschweige denn mit ihr gesprochen. Die verhaltene Freundlichkeit, die ihm der Arzt jetzt entgegenbringt, wird kaum so weit gehen, dass er ein Stelldichein arrangiert. Jacob hat bereits erwogen, Ogawa Uzaemon zu bitten, ihr einen Brief von ihm zu überbringen, aber wenn das herauskäme, könnten sowohl der Dolmetscher als auch Fräulein Aibagawa wegen Geheimbündelei mit einem Ausländer bestraft werden.
Und außerdem , denkt Jacob, was sollte ich in so einem Brief denn schreiben?
Jacob pflückt mit einem Paar Essstäbchen Schnecken von den Kohlköpfen. Plötzlich bemerkt er einen Marienkäfer auf seiner rechten Hand. Er baut ihm mit der linken Hand eine Brücke, die das Insekt bereitwillig überquert. Jacob wiederholt die Übung mehrere Male. Der Marienkäfer glaubt , denkt er, er sei auf großer Reise, aber in Wahrheit kommt er nicht vom Fleck . Er stellt sich eine unendliche Folge von Brücken vor, die zwischen hautbedeckten Inseln über das Nichts führt, und überlegt, ob eine unsichtbare Macht mit ihm vielleicht dasselbe Spiel spielt ...
... bis eine Frauenstimme ihn aus seinen Träumen reißt: «Herr Dazūto?»
Jacob lüftet den Bambushut und steht auf.
Fräulein Aibagawas Gesicht verdeckt die Sonne. «Ich bitte um Verzeihung für Störung.»
Erstaunen, schlechtes Gewissen, Aufgeregtheit ... Jacobs Gefühle sind mannigfaltig.
Sie erblickt den Marienkäfer auf seinem Daumen. «Tentō-mushi.»
In seinem Eifer, sie zu verstehen, verhört er sich: «O-ben-tō-mushi?»
«O-ben-tō-mushi heißt ‹Essendose-Käfer›.» Sie lächelt. «Das», sie zeigt auf den Marienkäfer, «ist O- ten -tō-mushi.»
«Tentō-mushi», wiederholt er, und sie nickt wie eine lobende Lehrerin.
Der tiefblaue Sommerkimono und das weiße Kopftuch verleihen ihr etwas Nonnenhaftes.
Sie sind nicht allein: An der Gartenpforte lauert der unumgängliche Wachmann.
Jacob versucht, ihn nicht zu beachten. «‹Marienkäfer›. Der Freund jeden Gärtners ...»
Anna würde dich mögen , denkt er und blickt in ihr Gesicht. Anna würde dich sehr mögen .
«... weil Marienkäfer Blattläuse fressen.» Jacob hebt den Daumen an die Lippen und pustet.
Der Marienkäfer landet ein paar Schritte weiter im Gesicht der Vogelscheuche.
Sie rückt der Vogelscheuche den Hut zurecht wie eine treusorgende Ehefrau. «Wie nennen Sie ihn?»
«Vogelscheuche, weil sie ‹Vögel verscheuchen› soll, aber diese hier heißt Robespierre.»
«Speicher Eik ist ‹Speicher Eiche›, Affe ist ‹William›. Warum ist Vogelscheuche ‹Robespierre›?»
«Weil ihr Kopf herunterfällt, wenn der Wind dreht. Das ist schwarzer Humor.»
«Humor ist geheime Sprache», sie runzelt die Stirn, «innen in Wörtern.»
Jacob entscheidet sich, den Fächer erst anzusprechen, wenn sie es tut, doch zumindest scheint sie weder gekränkt noch verärgert zu sein. «Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Fräulein?»
«Ja. Dr. Marinus schickt mich, Sie bitten um rōzu-mari. Er sagt ...»
Je besser ich Dr.
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