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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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auf der Pforte. «Warum Vergebung?»
    «Für das, was ich jetzt sage.» Die Ringelblumen sind flüssiges Gelb. «Sie sind sehr schön.»
    Sie versteht. Ihr Mund öffnet und schließt sich. Sie macht einen Schritt zurück ...
    ... und stößt gegen die geschlossene Pforte. Der Wachmann öffnet ihr.
    Elender Tölpel , stöhnt der Teufel des gegenwärtigen Bedauerns. Was hast du angerichtet?
    Fröstelnd, schwitzend und mit weichen Knien tritt Jacob den Rückzug an, aber der Garten ist auf einmal viermal so lang, und es kommt ihm vor wie eine Ewigkeit, bis er bei den Gurken ist und sich hinter einen Schutzschirm aus Ampferblättern kniet. Eine gescheckte Schnecke biegt ihre Stummelhörner, Ameisen tragen Rhabarberblattflicken über die Spitzhacke, und er wünscht sich, die Erde möge sich zu dem Augenblick zurückdrehen, als sie in den Garten kam und ihn um Rosmarin bat, damit er noch einmal von vorne beginnen und alles anders machen könnte.
    Eine Hirschkuh schreit nach ihrem Jährling, der für den Fürsten von Satsuma geschlachtet wird.

    Vor dem Abendappell steigt Jacob den Wachtturm hinauf und holt die Dattelpflaume aus der Jackentasche. Aibagawa Oritos Finger haben in der reifen Gabe kleine Dellen hinterlassen. Er legt die Finger auf die Abdrücke, riecht an der Frucht, atmet den sandig-süßen Duft ein und rollt die kugelige Kaki über die aufgesprungenen Lippen. Ich bereue mein Geständnis, denkt er, aber hatte ich denn eine andere Wahl? Er hält die Frucht vor die Sonne: Der Himmelskörper leuchtet orange wie eine Kürbislaterne. Die holzigen schwarzen Kelchblätter und der Stiel sind mit einem puderigen Belag überzogen. Da er weder Löffel noch Messer bei sich hat, nimmt er ein winziges Stück wächserne Schale zwischen die Schneidezähne und zieht; Saft quillt aus dem Riss; er leckt das süße Rinnsal auf, saugt ein tropfendes Stück faseriges Fruchtfleisch heraus und drückt es zart, ganz zart an seinen Gaumen, bis es zu vergorenem Jasmin, öligem Zimt, duftender Melone und flüssiger Zwetschge zerschmilzt ... Im Herzen der Frucht findet er ungefähr zehn flache Samen, braun wie asiatische Augen und von ebensolcher Form. Die Sonne ist untergegangen, die Zikaden verstummen, die Lila- und Türkistöne verblassen zu Grau und noch dunklerem Grau. In unmittelbarer Nähe fliegt, getrieben von ihrem eigenen Ungestüm, eine Fledermaus vorbei. Nicht ein Windhauch ist zu spüren. Rauch steigt aus dem Kombüsenabzug der Shenandoah auf und senkt sich auf den Bug. Die Stückpforten sind geöffnet, und der Lärm von über hundert Matrosen, die im Bauch der Brigg zu Abend essen, hallt über das Wasser, und wie in einer angestoßenen Stimmgabel schwingt in Jacob Orito nach, ihr Wesen, ihre Weiblichkeit. Das Versprechen, das er Anna gegeben hat, haftet an seinem Gewissen wie eine Klette. Aber Anna, denkt er schuldbewusst, ist an Kilometern und Jahren so weit entfernt. Außerdem hat sie mir ihre Einwilligung gegeben, das heißt, gewissermaßen ihre Einwilligung, und sie würde es nie erfahren , und dann nimmt sein Magen Oritos glitschiges Geschenk in sich auf. Die Schöpfung war nicht am sechsten Tag beendet, will es dem jungen Mann erscheinen. Die Schöpfung entfaltet sich um uns, durch uns und trotz uns, so geschwind wie Tage und Nächte vergehen, und wir nennen es gern «Liebe».

    «Kapitän Bōru-suten-bōshu», ruft Dolmetscher Sekita eine Viertelstunde später am Fuß des Fahnenmastes. Gewöhnlich wird der zweimal täglich abgehaltene Appell von Wachtmeister Kosugi durchgeführt, der höchstens eine Minute braucht, um festzustellen, ob die Fremdländer, die er alle bei Gesicht und Namen kennt, vollzählig sind. Heute Abend aber hat Sekita beschlossen, seine Autorität geltend zu machen und den Appell selbst zu leiten, während der Wachtmeister mit verstimmter Miene am Rand steht. «Wo ist der ...», Sekita schielt auf seine Liste, «... der Bōru-suten-bōshu?»
    Sein Schreiber unterrichtet ihn, dass Faktor Vorstenbosch an diesem Abend dem Fürst von Satsuma seine Aufwartung macht. Sekita erteilt dem Schreiber eine Rüge und blickt rasch auf den nächsten Namen. «Wo ist der ... Banku-rei-fu?»
    Sein Schreiber erinnert ihn daran, dass Stellvertreter van Cleef den Faktor begleitet.
    Wachtmeister Kosugi räuspert sich lautstark und grundlos.
    Der Dolmetscher fährt fort, die Namen auf der Liste aufzurufen. «Ma-ri-as-su ...»
    Marinus steht auf, die Daumen in den Jackentaschen eingehakt. «Es heißt Doktor

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