Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Marinus kennenlerne , denkt Jacob, desto rätselhafter wird er mir.
«... er sagt: ‹Bitten Sie Dombāga zu geben sechs frische ... ,Sprosse’ von rōzu-mari›.»
«Dort drüben, im Kräutergarten.» Jacob führt sie den kleinen Weg hinunter. Ihm fällt nicht eine scherzhafte Bemerkung ein, die nicht unendlich albern klänge.
Sie fragt: «Warum Herr Dazūto heute arbeitet als Gärtner von Dejima?»
«Weil ich mich gerne im Garten aufhalte», lügt der Pastorenneffe schamlos. «Schon als Kind», er streut ein wenig Wahrheit in die Lüge ein, «half ich im Obstgarten eines Verwandten. Wir pflanzten die ersten Pflaumenbäume an, die bei uns im Dorf wuchsen.»
«In Dorf Domburg», sagt sie, «in Provinz Zeeland.»
«Wie aufmerksam, dass Sie sich daran erinnern.» Jacob bricht ein halbes Dutzend junger Triebe ab. «Bitte sehr.» Einen kostbaren Augenblick lang sind ihre Hände durch ein paar Zentimeter bitteren Krauts miteinander verbunden, nur bezeugt von einem Dutzend orangeroter Sonnenblumen.
Ich will keine käufliche Kurtisane , denkt er, ich will dich mir verdienen.
«Danke.» Sie riecht an dem Kraut. «‹Rosmarin› hat Bedeutung?»
Jacob bedankt sich innerlich bei seinem übel aus dem Mund riechenden Lateinzuchtmeister in Middelburg. «Der lateinische Name ist ros marinus. ‹Ros› bedeutet ‹Tau› - kennen Sie das Wort ‹Tau›?»
Sie runzelt die Stirn, schüttelt kaum merklich den Kopf und dreht langsam ihren Sonnenschirm.
«Tau ist Wasser, das man am frühen Morgen findet, bevor die Sonne es verdunsten lässt.»
Die Hebamme versteht. «Tau ... wir sagen asa-tsuyu.»
Jacob weiß, dass er das Wort asa-tsuyu sein Leben lang nicht mehr vergessen wird. «Ros bedeutet also Tau, und marinus bedeutet ‹Meer›. Ros marinus ist der ‹Tau des Meeres›. Alte Leute sagen, dass Rosmarin nur gedeiht - gut wächst -, wenn er das Meer hören kann.»
Diese Geschichte gefällt ihr. «Ist wahre Geschichte?»
«Vielleicht ...», Jacob wünscht sich, die Zeit möge stehenbleiben, «... steckt mehr Schönheit darin als Wahrheit.»
«Bedeutung von ‹marinus› ist ‹Meer›? Dann ist Doktor ‹Doktor Meer›?»
«Das könnte man so sagen, ja. Hat ‹Aibagawa› auch eine Bedeutung?»
«Aiba ist ‹Indigo›», der Stolz auf ihren Namen ist deutlich zu hören, «und gawa ist ‹Fluss›.»
«Dann sind Sie also ein indigoblauer Fluss. Das klingt wie ein Gedicht.» Und du, denkt Jacob, klingst wie ein Süßholz raspelnder Wüstling. «Rosemarie ist auch ein weiblicher Taufname - ein Vorname. Mein Vorname», er bemüht sich, beiläufig zu klingen, «ist Jacob.»
«Was ist ...», sie dreht den Kopf, um ihre Verwirrung anzuzeigen, «... Ya-ko-bu?»
«Der Name, den meine Eltern mir gegeben haben: Jacob. Mein voller Name ist Jacob de Zoet.»
Sie nickt zaghaft. «Yakobu Dazūto.»
Ich wünschte , denkt er, man könnte gesprochene Wörter festhalten und in einem Medaillon verwahren.
«Mein Aussprechen», fragt Fräulein Aibagawa, «ist nicht sehr gut?»
«Nein ... nein! Sie sind in jeder Hinsicht vollkommen. Ihre Aussprache ist tadellos.»
Grillen schrapen und schrillen in den niedrigen Steinmauern des Gartens.
«Fräulein Aibagawa ...», Jacob schluckt, «wie lautet Ihr Vorname?»
Sie lässt ihn eine Weile warten. «Mein Name von Mutter und Vater ist Orito.»
Der Wind wickelt sich eine Strähne ihres Haares um den Finger.
Sie senkt den Blick. «Doktor wartet. Ich danke für Rosmarin.»
Jacob sagt: «Es war mir ein großes Vergnügen», aber mehr zu sagen traut er sich nicht.
Sie geht ein paar Schritte, dann dreht sie sich um. «Ich eine Sache vergessen.» Sie greift in den Ärmel ihres Kimonos und holt eine Frucht heraus. Von Größe und Farbe ähnelt sie einer Orange, aber sie ist glatt wie unbehaarte Haut. «Aus meinem Garten. Ich bringe viele zu Dr. Marinus, und er mich bitten, ich bringe eine zu Herrn Dazūto. Es ist kaki.»
«Dann ist eine Dattelpflaume auf Japanisch eine Kecki?»
«Ka- ki.» Sie legt die Frucht auf die Schulterbiegung der Vogelscheuche.
«Ka- ki. Robespierre und ich werden sie später essen, vielen Dank.»
Die bröckelige Erde knirscht unter ihren Holzsandalen, als sie den Weg hinuntergeht.
Tu etwas , fleht der Geist des zukünftigen Bedauerns. Ich räume dir keine zweite Gelegenheit ein.
Jacob eilt an den Tomaten vorbei und holt sie kurz vor der Pforte ein.
«Fräulein Aibagawa? Fräulein Aibagawa. Ich muss Sie um Vergebung bitten.»
Sie dreht sich um, die Hand schon
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