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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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würde ...» - mich sehr glücklich machen , möchte Jacob sagen, aber er traut sich nicht. «Überbrächte ich ihr das Wörterbuch persönlich», erklärt er, «bekämen die Spitzel, Inspektoren und ihre Mitschüler es mit. Und einen abendlichen Spaziergang zu ihrem Haus kann ich auch nicht unternehmen. Ein Dolmetscher von Rang hingegen, der ein Wörterbuch unter dem Arm trägt, würde keinerlei Aufsehen erregen ... Und man könnte wohl kaum von Schmuggelei sprechen, denn es handelt sich ja um ein simples Geschenk. Darum ... möchte ich Sie bitten, ihr das Buch an meiner Stelle zu überreichen.»
    Twomey und der Sklave d’Orsaiy bauen den großen Dreifuß auf dem Wiegeplatz auseinander.
    Ogawa wirkt nicht überrascht, was darauf hindeutet, dass er mit dieser Bitte gerechnet hat.
    «Es gibt sonst niemanden auf Dejima», sagt Jacob, «dem ich vertrauen könnte.»
    So ist es, gibt Ogawa ihm mit einem kurzen Räuspern zu verstehen.
    «Ich werde ... ich habe einen ... einen kurzen Brief in das Wörterbuch gelegt.»
    Ogawa hebt den Kopf und macht ein argwöhnisches Gesicht.
    «Einen Brief ... in dem ich ihr versichere, dass das Wörterbuch auf ewig ihr gehört, aber ...» - jetzt, denkt Jacob, höre ich mich an wie ein Markthändler, der den Hausfrauen Süßholz raspelt - «... aber sollte sie mich je als ihren Schutzherrn in Betracht ziehen, oder besser gesagt als ihren Beschützer oder ... oder ...»
    «Brief ist», sagt Ogawa schroff, «für Heiratsantrag machen?»
    «Ja. Nein. Nicht, wenn ...» Während er sich wünscht, er hätte das Ganze seinlassen, zieht Jacob das in Segeltuch und Zwirn verpackte Wörterbuch unter dem Tisch hervor. «Ja, zum Teufel. Es ist ein Antrag. Ich bitte Sie, Herr Ogawa, erlösen Sie mich von meiner Pein und geben Sie ihr das verdammte Buch!»

    Es ist dunkel, windig und gewitterschwül. Jacob schließt den Speicher ab, hält sich zum Schutz vor Staub und Kies die Hand vor die Augen und geht über den Fahnenplatz. Ogawa und Hanzaburo sind nach Hause gegangen, als es draußen noch sicher war. Van Cleef steht am Fuß des Fahnenmastes und brüllt d’Orsaiy zu, der sichtlich Mühe hat, den Mast hinaufzuklettern. «Du würdest es für eine Kokosnuss tun, also tu’s verdammt noch mal auch für unsere Fahne!»
    Die Sänfte eines ranghohen Übersetzers wird vorbeigetragen: Das Fenster ist geschlossen.
    Van Cleef erblickt Jacob. «Die verfluchte Fahne hat sich verknotet, man kann sie nicht einholen - aber ich lasse nicht zu, dass sie in Fetzen gerissen wird, nur weil dieser Faulpelz sich davor fürchtet, sie zu entwirren!»
    Der Sklave erreicht die Mastspitze, schlingt die Beine um die Stange, entwirrt die Trikolore der alten Vereinigten Provinzen, rutscht mit wehenden Haaren am Mast hinunter und überreicht die Fahne van Cleef.
    «Und jetzt lauf zu Herrn Twomey und sieh nach, ob er Verwendung für dich hat!»
    D’Orsaiy rennt zwischen den Häusern des Vizes und des Kapitäns davon.
    «Der Appell ist abgeblasen.» Van Cleef faltet die Flagge zusammen und stellt sich unter einen Giebel. «Holen Sie sich etwas von dem Fraß, den Grote zusammengekocht hat, und gehen Sie nach Hause. Meine neue Frau sagt voraus, dass es doppelt so heftig blasen wird, bis das Auge des Taifuns vorbeizieht.»
    «Ich dachte ...», Jacob zeigt auf den Wachtturm, «... ich sehe mir das Ganze aus der Nähe an.»
    «Halten Sie die Besichtigung kurz, sonst werden Sie bis nach Kamtschatka gepustet!»
    Van Cleef schlurft die Gasse hinunter zu seinem Haus.
    Jacob steigt, zwei Stufen auf einmal nehmend, den Wachtturm hinauf. Oben über den Dächern peitscht der Wind auf ihn ein: Er hält sich am Geländer fest und legt sich flach auf den Boden der Plattform. Vom Kirchturm in Domburg aus hat Jacob schon viele heftige Stürme von Skandinavien her aufziehen sehen, aber ein ostasiatischer Taifun ist ein Wesen von besonderer Bösartigkeit. Der Tag ist dunkel angelaufen, der Wald drischt auf die im Dämmerlicht versunkenen Berge ein, das Wasser in der schwarzen Bucht ist von der Brandung aufgewühlt, Gischt spritzt hinauf auf Dejimas Dächer, Balken ächzen und seufzen. Die Besatzung der Shenandoah setzt den dritten Anker, der Erste Offizier steht auf dem Achterdeck und brüllt unhörbar Befehle. Im Osten sind die chinesischen Kaufleute und Matrosen ebenfalls dabei, ihr Eigentum zu sichern. Die Sänfte des Dolmetschers überquert den ansonsten leeren Edo-Platz, die Platanen biegen sich und peitschen mit ihren Ästen, nicht ein Vogel

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