Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
fliegt am Himmel, die Fischerboote werden hoch auf das Ufergelände gezogen und vertäut. Nagasaki verschanzt sich für eine sehr schlimme Nacht.
Welches von diesen vielen hundert zusammengedrängten Dächern , denkt Jacob, gehört zu dir?
An der Kreuzung macht Wachtmeister Kosugi das Glockenseil fest.
Heute Abend wird Ogawa das Wörterbuch nicht überbringen , denkt Jacob.
Twomey und Baert hämmern Tür und Fensterläden des Gartenhauses zu.
Mein Geschenk und der Brief sind unbesonnen und plump , gesteht Jacob sich ein, aber ein dezenteres Werben ist nicht möglich.
Drüben im Garten zerspringt etwas in tausend Stücke ...
Wenigstens muss ich mich jetzt nicht länger für meine Feigheit verwüschen.
Marinus und Eelattu beladen mühevoll einen Handwagen mit eingetopften jungen Bäumen ...
... und zwanzig Minuten später stehen zwanzig Apfelschößlinge sicher im Flur des Krankenhauses.
«Ich - wir ...», der Arzt zeigt schnaufend auf die Bäume, «... stehen in Ihrer Schuld.»
Eelattu steigt im Dunkeln die Treppe hinauf und verschwindet durch die Falltür.
«Ich habe sie gegossen.» Jacob atmet tief durch. «Ich fühle mich für sie verantwortlich.»
«Ich hatte nicht bedacht, dass sie durch Meersalz Schaden nehmen könnten - bis Eelattu mich darauf aufmerksam machte. Ich habe die Bäumchen aus dem fernen Hakine mitgebracht: Sie hätten alle eingehen können, ohne auf einen lateinischen Doppelnamen getauft zu sein. Alter schützt vor Torheit nicht.»
«Niemand wird es erfahren», verspricht Jacob, «nicht einmal Klaas.»
Marinus runzelt nachdenklich die Stirn: «Klaas?»
«Der Gärtner ...», Jacob klopft sich den Staub von der Jacke, «... im Haus Ihrer Tante.»
«Ach, Klaas! Der liebe Klaas ist schon vor vielen Jahren zu Kompost geworden.»
Der Taifun heult wie tausend Wölfe: In der Mansarde wird Licht gemacht.
«So», sagt Jacob, «ich laufe lieber rasch zurück zum Großen Haus, solange der Sturm es noch zulässt.»
«Gebe Gott, dass das Haus morgen noch groß ist.»
Jacob drückt die Krankenhaustür auf: Ein heftiger Windstoß wirft den Sekretär zurück. Die beiden Männer spähen nach draußen: Ein Fass rollt über die Lange Straße auf das Gartenhaus zu und zerbirst zu Kleinholz.
«Es wäre besser», schlägt Marinus vor, «Sie gehen nach oben und bleiben dort, bis der Taifun vorbei ist.»
«Ich will nicht stören», erwidert Jacob. «Ich weiß, wie sehr Sie die Zurückgezogenheit schätzen.»
«Was haben meine Famuli von Ihrer Leiche, wenn Ihr Körper dasselbe Schicksal nimmt wie das Fass? Gehen Sie voran, bevor ich am Ende noch falle und uns beiden den Hals breche ...»
Die ächzende Laterne wirft ihr Licht auf die Schätze in Marinus̕ Bücherregalen. Jacob neigt den Kopf zur Seite und liest mit zusammengekniffenen Augen die Titel: Novum Organum von Francis Bacon, Goethes Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären , Antoine Gallands Übersetzung von Tausendundeine Nacht. «Das gedruckte Wort ist Nahrung», sagt Marinus, «und Sie sehen hungrig aus, Domburger.» System der Natur von Jean-Baptiste de Mirabaud: das Pseudonym, wie jeder niederländische Pastorenneffe weiß, des Atheisten Baron d’Holbach, und Voltaires Candide oder der Optimismus. «Genug Ketzerei», bemerkt Marinus, «dass einem Inquisitor Hören und Sehen vergehen.» Jacob gibt keine Antwort. Er stößt auf Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica , dann entdeckt er Juvenals Satiren , Dantes Inferno im italienischen Original und schließlich den nüchternen Kosmotheoros ihres Landsmanns Christiaan Huygens. Das Regal mit den zwanzig bis dreißig Bänden nimmt die gesamte Breite der Mansarde ein. Auf Marinus’ Schreibtisch liegt ein Foliant: die Osteographia von William Cheselden.
«Schauen Sie nach, wer Sie darin erwartet», fordert der Arzt ihn auf.
Jacob betrachtet eingehend die Zeichnung, und der Teufel setzt seine Saat.
Was wäre, wenn diese Maschine aus Knochen - die Saat geht auf - das Wesen des Menschen ausmachte ...
Der Wind schlägt gegen das Mauerwerk wie ein Dutzend umstürzender Bäume.
... und die göttliche Liebe nur dem Zweck diente, kleine Knochenmaschinen in die Welt zu pressen?
Jacob denkt über die Fragen nach, die ihm Fürstabt Enomoto bei ihrer einzigen Begegnung gestellt hat. «Doktor Marinus, glauben Sie an die Existenz der Seele?»
Jacob rechnet mit einer gelehrten, unverständlichen Antwort. «Ja.»
«Aber wo ...», Jacob zeigt auf das fromme und doch so
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