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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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geradezu barmherzig: Die niederen Rassen dürfen am Leben bleiben, aber sie müssen dafür eben arbeiten.»
    «Welchen Nutzen ...», der Arzt schenkt sich Wein ein, «... hätte denn auch ein aufgefressener Sklave?»
    Die Standuhr im Empfangszimmer schlägt zehnmal.
    Vorstenbosch gelangt zu einer Entscheidung. «So verärgert ich über den Zwischenfall im Packhaus auch bin, Fischer, ich erkenne an, dass Sie und Gerritszoon in Notwehr gehandelt haben.»
    «Ich schwöre Ihnen», beteuert Fischer, «wir hatten keine andere Wahl.»
    Marinus blickt in sein Weinglas und verzieht angewidert das Gesicht. «Ekelhafter Nachgeschmack.»
    Lacy bürstet seinen Schnurrbart. «Und was ist mit Ihrem Sklaven, Marinus?»
    «Eelattu, Kapitän Lacy, ist ebenso wenig Sklave wie Ihr Erster Offizier. Ich fand ihn vor fünf Jahren in Jaffna. Eine Horde portugiesischer Walfänger hatte auf ihn eingeprügelt, bis er sich nicht mehr rührte, und ihn einfach liegengelassen. Während seiner Genesung überzeugte mich die rasche Auffassungsgabe des Jungen, ihn als chirurgischen Assistenten zu beschäftigen, gegen Bezahlung aus eigener Tasche. Er kann seine Stellung aufgeben, wann immer es ihm beliebt, und das mit Lohn und Zeugnis. Kann das irgendein Besatzungsmitglied der Shenandoah von sich sagen?»
    «Inder, das muss ich zugeben ...», Lacy begibt sich zum Pisspott, «... äffen zivilisierte Sitten recht gut nach. Ich habe schon Pazifikinsulaner und Chinesen in die Heuerrolle der Shenandoah eingeschrieben, ich weiß also, wovon ich spreche. Aber für Afrikaner ...», der Kapitän knöpft sich die Hose auf und uriniert in den Topf, «... ist die Sklaverei die beste Lebensform: Ließe man sie frei, sie wären innerhalb einer Woche verhungert, es sei denn, sie schlachten weiße Familien ab, um deren Speisekammern zu plündern. Für sie existiert nur der Moment: Sie können weder Land bewirtschaften noch planen, Neues ersinnen oder ihre Vorstellungskraft einsetzen.» Er schüttelt die letzten Urintropfen ab und steckt das Hemd in die Hose. «Wer die Sklaverei verurteilt ...», er kratzt sich unter dem Kragen, «... verwirft außerdem die Heilige Schrift. Die Schwarzen stammen von Noahs viehischem Sohn Ham ab, der seine eigene Mutter beschlief: Deshalb sind seine Nachkommen verflucht. Es steht schwarz auf weiß im neunten Buch der Genesis: ‹Verflucht sei Kanaan. Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern.› Die weiße Rasse stammt hingegen von Jafet ab: ‹Raum schaffe Gott für Jafet, Kanaan aber sei sein Knecht.› Oder ist das etwa die Unwahrheit, Herr de Zoet?»
    Alle Augen richten sich auf den Pastorenneffen.
    «Diese besonderen Verse sind umstritten», sagt Jacob.
    «Der Sekretär nennt Gottes Wort umstritten?», stichelt Peter Fischer.
    «Die Welt wäre glücklicher ohne die Sklaverei», erwidert Jacob, «und ...»
    «Die Welt wäre glücklicher», schnaubt van Cleef, «wenn an den Bäumen goldene Äpfel hingen.»
    «Lieber Herr Vorstenbosch ...», Kapitän Lacy erhebt das Glas, «... Ihr Rheinwein ist fürwahr ein erlesener Tropfen. Sein Abgang ist reiner Nektar.»

[Menü]
    XI

    Speicher Eik

    Vor dem Taifun am 19. Oktober 1799
     
    Die Häuser werden verrammelt und die Tiere zusammengetrieben. Der Wind trägt die Geräusche hinein ins Lagerhaus. Hanzaburo steht im Eingang und blickt hinauf in den verdunkelten Himmel. Ogawa Uzaemon sitzt am Tisch und übersetzt die japanische Fassung von Schiffspapier 99b aus dem Handelsjahr 1797 betreffs einer Ladung Kampferpulvers. Jacob notiert die eklatanten Abweichungen, die er bei den Preisen und Mengenangaben zwischen der japanischen Ausfertigung und seinem niederländischen Gegenstück feststellt. Die Unterschrift, die das Dokument als «Ehrliche und getreue Auflistung der Lieferung» beglaubigt, stammt von Melchior van Cleef: Es ist der siebenundzwanzigste gefälschte Eintrag des amtierenden Stellvertreters, den Jacob bis jetzt entdeckt hat. Er hat Vorstenbosch über die stetig wachsende Liste in Kenntnis gesetzt, aber der Eifer des Faktors, die Zustände auf Dejima zu reformieren, hat deutlich nachgelassen. Er droht nicht mehr, «das Krebsgeschwür der Korruption herauszuschneiden», sondern spricht davon, «die Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen, möglichst gewinnbringend einzusetzen». Der deutlichste Hinweis für die gewandelte Haltung des Faktors ist vielleicht, dass Arie Grote von Tag zu Tag emsiger und fröhlicher wird.
    «Es ist bald zu dunkel», sagt Ogawa Uzaemon, «um gut zu

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