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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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zum Festschmaus und zur Hurerei, und die Barbaren wollten sich dieses Vergnügen nicht entgehen lassen. Einer der Schlächter spießte mich mit einem Bajonett am Tisch fest, als wäre ich ein Schmetterling auf der Nadel eines Sammlers, und dann ließen sie mich, ohne eine Wache aufzustellen, allein.»
    Insekten schwirren über dem Kandelaber wie unheilvoller Nebel.
    Eine rostrote Eidechse sitzt auf der Klinge von Jacobs Buttermesser.
    «Ich flehte Gott an, er möge mir die nötige Kraft geben. Durch Drehen des Kopfes bekam ich die Klinge zwischen die Zähne und zog das Bajonett langsam heraus. Ich verlor Unmengen von Blut, aber ich rang meine Schwäche nieder. Schließlich hatte ich meine Freiheit wieder. Unter dem Tisch lag Joosse, der letzte Überlebende meiner Einheit. Joosse war Zeeländer, genau wie Sekretär de Zoet ...»
    Ach , denkt Jacob, welch passender Zufall!
    «... und, wie ich leider sagen muss, ein Feigling. Vor lauter Angst konnte er sich nicht bewegen, bis meine Argumente seine Furcht besiegten. Wir verließen Goed Accoord im Schatten der Dunkelheit. Sieben Tage lang schlugen wir uns mit bloßen Händen einen Pfad durch die grüne Hölle. Außer den Maden, die sich in unseren Wunden vermehrten, hatten wir nichts zu essen. Immer wieder flehte Joosse mich an, endlich sterben zu dürfen. Aber meine Ehre zwang mich, selbst diesen zeeländischen Schwächling vor dem Tode zu beschützen. Schließlich erreichten wir durch Gottes Fügung Fort Sommelsdyck, wo der Commewijne und der Cottica zusammenfließen. Wir waren mehr tot als lebendig. Mein Kommandeur gestand mir später, er habe nicht damit gerechnet, dass ich die nächsten Stunden überleben würde. ‹Unterschätzen Sie nie wieder einen Preußen›, erklärte ich ihm. Der Gouverneur von Surinam verlieh mir eine Tapferkeitsmedaille, und sechs Wochen später führte ich zweihundert Soldaten zurück nach Goed Accord. Wir verübten an dem Ungeziefer furchtbare Rache, aber es liegt mir fern, mit meinen Verdiensten zu prahlen.»
    Weh und Philander kommen mit dem Rheinwein zurück.
    «Eine höchst erbauliche Geschichte», sagt Lacy. «Ich ziehe den Hut vor Ihrer Tapferkeit, Herr Fischer.»
    «Die Stelle, als Sie die Maden verspeist haben», wirft Marinus ein, «war wohl doch ein wenig dick aufgetragen.»
    «Die Zweifel des Herrn Doktors», sagt Fischer zu den Beamten, «entspringen seiner gefühlvollen Zuneigung zu den Wilden, muss ich mit Bedauern feststellen.»
    «Die Zweifel des Herrn Doktors ...», Marinus studiert das Weinetikett, «... sind die natürliche Reaktion auf großspuriges Geschwätz.»
    «Ihre Anschuldigungen», schlägt Fischer zurück, «verdienen keine Antwort.»
    Jacob bemerkt die Mückenstiche, die sich wie eine Inselkette quer über seine Hand ziehen.
    «Die Sklaverei mag für manche ungerecht sein», sagt van Cleef, «aber niemand kann leugnen, dass alle Weltreiche auf ihr begründet sind.»
    «Dann», Marinus dreht den Korkenzieher, «soll der Teufel alle Weltreiche holen.»
    «Welch ungewöhnliche Äußerung», erklärt Lacy, «aus dem Mund eines Kolonialbeamten!»
    «In der Tat», pflichtet Fischer ihm bei, «und obendrein zeugt sie von geradezu jakobinischen Ansichten.»
    «Ich bin kein Kolonialbeamter: Ich bin Arzt, Gelehrter und Reisender.»
    «Sie suchen Ihr Glück», sagt Lacy, «auf Kosten des Niederländischen Weltreichs.»
    «Meine Schätze sind rein botanischer Natur.» Der Korken knallt. «Die Reichtümer überlasse ich Ihnen.»
    «Wie ungemein aufgeklärt, überspannt und französisch, eine Nation, nebenbei bemerkt, die erfahren hat, welche Gefahren die Abschaffung der Sklaverei mit sich bringt. Anarchie hat die Karibik in Brand gesteckt, Pflanzungen wurden geplündert, Männer an Bäumen aufgeknüpft, und als Paris seine Neger wieder in Ketten gelegt hatte, war Hispaniola schon verloren.»
    «Und dennoch», schaltet sich Jacob ein, «zieht sogar das Britische Empire die Abschaffung der Sklaverei in Erwägung.»
    Vorstenbosch taxiert seinen einstigen Protégé mit strengem Blick.
    «Die Briten», ermahnt ihn Lacy, «bedienen sich immer irgendeiner List: Die Zeit wird es lehren.»
    «Und die Bürger Ihrer Nordstaaten», sagt Marinus, «die erkannt haben ...»
    «Die blutsaugenden Yankees», Kapitän Lacy fuchtelt mit seinem Messer, «mästen sich mit unseren Steuern.»
    «Im Tierreich», sagt van Cleef, «werden die Unterlegenen von denen gefressen, die von der Natur besser begünstigt wurden. Dagegen ist die Sklaverei

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