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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Leben enthielt nichts mehr, was es wert war, aufbewahrt oder aufgeschrieben zu werden. Es war,
als sei mit dem Brand in Asmussens Lager auch ihre Zukunft zu Asche zerfallen. Wovon sollte sie träumen? Wonach sollte sie Sehnsucht haben? Sie schob die Tagebücher in der Schublade ganz nach hinten. Mochte sie finden und lesen, wer wollte. Sie war nicht mehr die Gleiche und musste sich auch nicht mehr schämen für die Jungmädchenträume, die sie dem Buch einst anvertraut hatte. In der Schublade klirrte es.
    Betty tastete mechanisch in eine der Ecken und hielt plötzlich die Spange in der Hand, die der fremde Kaufmann ihr gegeben hatte. Der glatte Stein in der Form eines Hasen fühlte sich seltsam warm an. John Francis Jocelyn. Es war, als ob die Erinnerung an ihn unter all den Sorgen verblasst war. Betty widerstand dem Impuls, Trude auch noch die Spange zu schenken, und war froh darüber, als sie sah, wie Trude das Gesicht verzog, als sie das Schmuckstück sah. »Was ist das denn für ein Ding?«, piepste sie und drückte das helle Kleid an sich. »Eine Brosche mit einem Karnickel?« Früher hätte Trude sich niemals getraut, Bettys Sachen zu bewerten. Auch das hatte sich geändert.
    »Es ist nichts.« Betty zögerte und stopfte die Spange auf den Boden der Reisetasche. »Das hab ich nur mal irgendwo gefunden.«
    Wie sich herausstellte, war auch Frau Pannfisch noch niemals in Hamburg gewesen. Sie wollte zwei Wochen bei ihrer Schwester bleiben und dann zurückkehren, benahm sich aber, als würde sie ihre Heimat für immer verlassen. Die Aufregung machte ihr kleines Gesicht starr und wächsern und drückte ihre Stimme eine Oktave höher. Schon mehr als drei Stunden, bevor der Zug losfahren sollte, mahnte sie zur Eile und hatte sogar eine Droschke bestellt, die Betty und sie zum Bahnhof bringen sollte.
    Als der magere weiße Wallach des Droschkenfahrers Koll
endlich mit den Hufen auf dem Kopfsteinpflaster kratzte und die kleine Kutsche quietschend vor dem Hauseingang zum Stehen kam, hatte Frau Pannfisch schon mehr als eine Stunde lang mit Leidensmiene neben ihrer Tasche und dem kleinen Karton gestanden und den vielen Passanten dieses Morgens zugenickt. Unter ihnen befand sich zu aller Erstaunen Henny von Mux, die zum ersten Mal seit Langem bei Tageslicht ihr Haus verlassen hatte. Als Betty, die im Haus gewartet hatte, bis die Kutsche vorfuhr, nun vor die Tür trat, war Antons Urgroßmutter die Einzige, die Betty einen Abschiedsgruß zurief: »Denk an meinen Tee, Betty! Und viel Glück!«, ließ sie mit ihrer scharrenden Stimme verlauten. Betty nickte ihr lächelnd zu und stellte bei sich fest, dass Frau von Mux außer ihrem Vater die Einzige war, die sie vermissen würde.
    Von dem kleinen Bahnhof im Süden der Stadt fuhr die Hannoversche Westbahn pünktlich ab. Ein junges Paar, in dessen Gefolge gleich drei Dienstmänner mit überbordenden Gepäckwagen marschierten, stieg in die erste Klasse. Die vierte Klasse direkt hinter der Lokomotive wurde von einer Schar Moorarbeiter erklettert. Betty und die alte Haushälterin saßen dritter Klasse, Frau Pannfisch mit der Tasche auf dem Schoß, ihr Schützling blass und verloren neben ihr. Betty schloss erschöpft die Augen. Der Abschied von ihrem Vater war kurz ausgefallen. Er hatte sich den ganzen Winter nicht gut gefühlt, und seit Frau Pannfisch tatkräftig mit den Reisevorbereitungen begonnen hatte, lag er auch tagsüber oft stundenlang auf der Chaiselongue in seinem Zimmer oder stand erst gar nicht aus dem Bett auf. Ein einziges Mal hatte Betty den Doktor gesehen, wie er seine Tasche wieder zuschnappen ließ und sich auf dem Flur ausgerechnet von Elkhuber verabschiedete.
    Dass sie als Tochter auch ein Recht darauf hatte, zu erfahren, wie es dem Vater ging, interessierte offenbar niemanden. Sie
hatte sich seit Tagen vorgestellt, dass sie beim Abschied würde weinen müssen, und noch mehr befürchtet, dass auch er nicht mehr Herr seiner Gefühle sein würde, aber so war es nicht. Er hatte ihr zugelächelt und dann erschöpft die Augen geschlossen. Kurz darauf zeigten seine ruhigen tiefen Atemzüge, dass er schlief.
     
    Es war eine lange Fahrt bis nach Hamburg. Der Zug fuhr nur bis Hannover, dort mussten sie aussteigen und auf den Anschluss nach Harburg warten, einer Hafenstadt westlich der Elbe, fast vis-à-vis von Hamburg. Von Harburg aus sollten Fähren nach Hamburg verkehren, hatte die Schwester von Frau Pannfisch geschrieben. Und sie sollten sich vor Taschendieben in Acht

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