Die Teeprinzessin
sich etwas darauf einbilden, geladen zu sein. Vor Jahren habe es sogar einmal ein Duell gegeben, als einer der Kaufleute wieder hatte ausgeladen werden müssen. Nicht nur das Schicksal der anderen hinge von diesem Abend ab, sondern in gewisser Weise auch das der Remburgs. Daher sei es immens wichtig, dass alles wie am Schnürchen liefe.
Eines der Mädchen, von der es hieß, dass sie die Tochter eines Altländer Konditors war, musste die Petit Fours, die sie gebacken hatte, in die Tonne schaben, kaum, dass die kleinen Biskuitwürfel den Backofen verlassen hatten, da sie angeblich alle schief geworden waren. Nicht einmal die Katze sollte sie essen dürfen. Von den Mädchen ganz zu schweigen, dachte Betty bitter. Sie selbst hatte seit Monaten keinen Kuchen gegessen und allein der Duft des Teiges hatte sie schon an den Rand einer Ohnmacht gebracht. Ein anderes Mädchen bekam sogar die lockere Hand von Jungfer Siebenschön zu spüren, als sie unwillkürlich den Finger in den Cremetopf getaucht und ihn abgeschleckt hatte.
Als es Abend wurde und man draußen das Hufgetrappel der ersten Pferde hörte und wusste, dass nun die erste Kutsche eingetroffen war, saßen die alte Köchin und die Mädchen erschöpft und angespannt zugleich an der langen Tafel in der Küche und horchten nach oben. Welche der vielen Speisen würde zuerst gegessen werden? Würden sie schnell Nachschub herstellen müssen? Würde einer der Gäste einen Sonderwunsch äußern? Betty sah, wie Mieke die Treppe hinaufschlich, um zu horchen, und allein an der Tatsache, dass Jungfer Siebenschön ihr weder
Prügel androhte noch sogleich wie eine Furie hinter ihr herstürzte, konnte man sehen, dass sie es in diesem speziellen Falle nicht so ungehörig fand, an der angelehnten Dielentür zu lauschen. Immerhin hing ja in gewisser Weise ihr aller Auskommen davon ab, dass auch dieser Abend gelänge, eine besondere gesellschaftliche Veranstaltung in einer langen Reihe weiterer besonderer Abende.
»Das muss er sein, von dem alle reden!«, stotterte Mieke und kam mit hochrotem Kopf wieder heruntergeschlichen. »Den beiden jungen Fräulein war vorhin beim Auskleiden ganz blümerant, als die gnädige Frau sagte, dass er heute hier erwartet würde. Und sie durften ihn nicht sehen! Ich glaube aber, ICH habe ihn gesehen! Er war ganz in Schwarz gekleidet. Und diese Augen! So ein schönes Mannsbild! Ich glaube, solche gibt es hier bei uns gar nicht! Habt ihr gehört, wie mein Herz aufhörte zu pummern? Ich wünschte, ich hätte die Tür aufstoßen und mich ihm in die Arme werfen können!«
»Mieke!« Jungfer Siebenschöns Tadel fiel weniger scharf aus, als man es von ihr gewohnt war. »Wir haben nicht das Geringste gehört. Wenn du Glück hast, dann nimmt dich mal ein Bäckergeselle. Oder ein Schiffer, wie dein Vater. Aber doch kein edler Herr aus Indien!«
»Aus Indien?« Bettys Stimme war plötzlich so hell, dass alle zu ihr herumfuhren. Wie aus einer anderen, glücklicheren Zeit überkam sie plötzlich die Erinnerung an den Duft des feinen Tees, den John Francis Jocelyn damals aus Indien mitgebracht hatte. Allein seinen Namen zu denken, machte sie unruhig. Spürte sie noch, wie seine Arme sie aufgefangen hatten? Wie seine Hände ihr zart und nachdrücklich zugleich die Spange ins Haar gesetzt hatten? Betty war froh, dass sie saß und nicht stand, so weich wurden ihre Beine bei dem Gedanken, dass der mysteriöse fremde Gast da oben womöglich John
Francis Jocelyn sein könnte. Aber was wollte er hier? Sicher, er handelte mit Tee. Sie schloss die Augen und lauschte. Ob sie seine weiche Stimme bis hier herunter würde hören können - wenn er es denn war?
Jungfer Siebenschön musterte sie befremdet. »Jawohl, Indien, oder vielleicht doch eher China.« Sie stockte. »Es muss ja China sein. Wir handeln immerhin mit China. In Indien sind nur die Engländer. Schon der alte Herr Remburg hat Schiffe nach China ausgerüstet, damals im ersten Krieg. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass ein Kaufmann aus Ostindien hier zu Gast ist. Wenn dieser da überhaupt von dort kommt. China ist ja erst seit ein paar Wochen wieder offen für den Handel, und niemand weiß, wann dieser Herr angekommen ist. Über seinen Tee jedenfalls spricht man so dieses und jenes.« Es war der Stimme der Jungfer Siebenschön genau anzuhören, dass sie keinesfalls zu denen gehörte, die etwas Neues ausprobieren würden, wie auch nicht ihre Herrschaft. »Die Kräuterfrau auf dem Neumarkt jedenfalls sagt, dass
Weitere Kostenlose Bücher