Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
erklärte er ihr, daß sie sich nach ihm richten müsse, er habe gute Gründe für sein Verhalten.
    Aber eines Tages hatte sie genug von seiner Knauserigkeit und kaufte sich einen neuen Hut – einen hübschen Strohhut mit roten Kirschen darauf. Stolz war sie damit heimgekommen, und er hatte ihn ihr vom Kopf gerissen und ins Feuer geworfen.
    Die Leute in den Docks waren nicht dämlich. Wenn eine Frau plötzlich einen neuen Hut ausführte, wenn Kinder neue Kleider hatten, wurde das bemerkt und darüber gesprochen. Obwohl sich Tillet und die anderen Gewerkschaftsführer ausdrücklich gegen Gewalt ausgesprochen hatten, wußte Davey, daß es an der Basis Leute gab, die ihm bei lebendigem Leib die Haut abziehen würden, wenn sie herausbekämen, daß er spionierte.
    Sarah hatte seitdem nichts mehr für sich gekauft. Aber sie lächelte auch nicht mehr. Sie wandte sich von ihm ab, wenn er ins Bett kam, und wenn sie ihn ansah, waren ihren Augen kalt. Einmal hörte er, wie sie zu ihrer Mutter sagte, daß das Geld ihrer Meinung nach aus Diebstählen stamme. Ach, Sarah, dachte er, wenn es doch nur so wäre!
    Burton zog die Hand aus der Tasche und knackte mit den Fingerknöcheln. »Wie sind die genauen Zahlen? Wieviel haben sie in ihrer Streikkasse?«
    »Das ist schwer zu sagen«, erwiderte Davey in der Hoffnung, bluffen zu können.
    »Dann strengen Sie sich an, Mr. O’Neill. Oder mein Kollege hier marschiert in Ihre Wohnung und dreht Ihrer Kleinen den Hals um, als wär’s ein Katzenjunges.«
    Erneut angewidert von seiner vollkommenen Hilflosigkeit, redete Davey. »In der Gewerkschaft der Teearbeiter sind ungefähr achthundert Mitglieder«, sagte er.
    »Und wie steht’s mit dem Geld?«
    »Nicht der Rede wert.«
    Sheehan lachte auf und fragte Burton, worum er sich dann überhaupt Sorgen mache. Aber dann erklärte ihnen Davey, daß die Gewerkschaft der Schauerleute nahezu fünftausend Mitglieder und dreitausend Pfund in ihren Tresoren habe. Und sie hatten ihre Unterstützung zugesagt. Wenn die Dockarbeiter die Arbeit niederlegten, würden die Schauerleute das gleiche tun. Ebenso die Leichterschiffer und Fährleute. Burton zog daraufhin eine Augenbraue hoch, aber Sheehan machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Je mehr, desto besser. Dann hungern eben alle«, sagte er. »Mit dreitausend Pfund lassen sich nicht alle Arbeiter am Fluß durchfüttern. Jedenfalls nicht für lange. Selbst wenn sie einen Streik ausrufen, kommen sie in zwei oder drei Tagen wieder angekrochen. Sobald’s kein Geld für Bier mehr gibt.«
    »Ich hoffe, Sie haben recht, Mr. Sheehan«, erwiderte Burton ruhig. Seine ruhige, leise Stimme machte Davey nervös. »Ich kann mir keinen Streik leisten. Nicht jetzt. Meine Kapitaldecke ist zu dünn.«
    »Das passiert auch nicht«, sagte Sheehan. »Sie sorgen sich ganz umsonst, Chef. Genauso wie bei der kleinen Finnegan. Ich hab Ihnen doch gesagt, daß sie verschwindet, und so ist’s auch geschehen. Wahrscheinlich ist sie längst tot.«
    Burton griff in seine Brusttasche und reichte Davey einen Umschlag. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, als er ihn annahm, und Davey sah, daß Burtons Augen so kalt und undurchdringlich waren wie die eines Hais. Es stand kein Haß darin, was ihn hätte beruhigen sollen, aber das tat es nicht. Lieber hätte er Zorn darin gesehen als das, was er jetzt sah – eine schwarze gähnende Leere. Grenzenlos und angsteinflößend.
    »Da sind Flußratten unter uns. Ich kann sie rennen hören«, sagte Burton.
    Davey hörte nichts. »Wie bitte … Sir?«
    »Ratten fressen alles, wenn sie hungrig sind. Sogar menschliches Fleisch. Wußten Sie das nicht?«
    »N-nein, Sir. Das hab ich nicht gewußt.«
    »Gehen Sie heim, O’Neill. Gehen Sie heim und halten Sie die Flußratten fern«, sagte er, dann wandte er sich um und ging zum Ende des Kais.

   36   
    H alt sie nur noch einen Moment in die Höhe, mein Lieber, bis ich dir das angezogen habe. Nur noch einen Moment … so ist’s recht«, sagte Mary und zog Nick eine frische Pyjamajacke über, dann bettete sie ihn wieder auf seine Kissen zurück. »Das war sehr gut. Letzte Woche hast du das noch nicht gekonnt, da mußte ich deine Arme noch hochhalten.«
    »In einer Woche mache ich einen Hundertmeterlauf«, sagte Nick lächelnd. »Du wirst schon sehen.«
    »Das bezweifle ich zwar, aber du machst tatsächlich Fortschritte. Du hast wieder Farbe und mehr Kraft bekommen. Wenn wir es bloß schaffen würden, auf diese Knochen ein bißchen mehr

Weitere Kostenlose Bücher