Die Teerose
eingestellt. Davon waren sämtliche Betriebe am Fluß betroffen. Der Preis der Burton-Aktie war fast auf die Hälfte ihres Ausgabewerts gefallen, und Fiona verwendete jeden Dollar ihres Profits, um so viele wie möglich zu kaufen. Außerdem hatte sie der Gewerkschaft anonym fünfhundert Dollar überwiesen. Michael war außer sich gewesen, als er erfuhr, wieviel sie gespendet hatte, aber das war ihr egal. Es geschah in Erinnerung an ihren Vater, ihre Mutter, Charlie und Eileen, und wenn sie so viel gehabt hätte, hätte sie eine Million gegeben.
Auch Nick war knapp bei Kasse. Er wartete auf die ersten Zinsen seines Anlagekapitals in London, die künftig vierteljährlich ausbezahlt werden sollten, aber sie waren noch nicht eingetroffen. Nick glaubte, daß sein Vater sie zurückhielt, zweifellos in der Hoffnung, er würde sterben, was der Bank die Überweisungsgebühren erspart hätte. Obwohl er zweitausend Pfund aus London mitgebracht hatte, war das meiste bereits ausgegeben – für den Einfuhrzoll auf seine Gemälde, für die Renovierung der Räume bei Mrs. Mackie und für Bilder junger Künstler, die er in New York kennengelernt hatte, darunter Childe Hassam, William Merritt Chase und Frank Benson. Er besaß nur noch dreihundert Dollar.
Nick war im Umgang mit Geld ein hoffnungsloser Fall, fand Fiona. Inzwischen war es fast August, sie lebten schon fast ein halbes Jahr in New York, und er hatte noch immer kein Bankkonto eröffnet. Als sie ihn in die Wohnung ihres Onkels brachte, hatte sie entdeckt, daß er sein Bargeld in einem Paar brauner Schuhe aufbewahrte – Scheine im rechten, Münzen im linken. Er erklärte ihr, daß er Banken hasse und sich weigere, eine zu betreten. Sie sagte ihm, daß sie bei der First-Merchants-Bank ein Konto für ihn eröffnen werde. Was er denn machen wolle, wenn er ein Bild verkauft habe? Den Scheck des Kunden in einen Schuh stopfen und darauf hoffen, daß er sich wundersamerweise in Bargeld verwandle?
Nick ging mit Geld um wie ein Kind, das in dem Glauben lebt, das Geld vermehre sich von selbst. Sparen war ein Fremdwort für ihn. Eine Woche nach Ankunft in der Wohnung ihres Onkels hatte er Ian eine bestimmte Summe gegeben mit der Bitte, ihm einige Dinge zu besorgen. Ian, der seine Handschrift nicht entziffern konnte, hatte Fiona gebeten, ihm die Liste vorzulesen. Worauf sie Nick ins Gewissen geredet hatte, sich ein bißchen einzuschränken, bis die Anweisung aus London eingetroffen war, doch er konnte nicht verstehen, daß man es auch nur einen Tag ohne Kaviar und französischen Champagner aushalten konnte. Schwach und krank wie er war, hatte er sich in seinem Bett aufgesetzt und trotzig erklärt, er sei ein Mann und kein Barbar, und wenn er auf alles verzichten müsse, würde er es vorziehen zu sterben.
Als sie sich zum Gehen anschickte, versuchte Fiona, sich mit der Ablehnung abzufinden. Sie und Nick müßten sich eben weitere Objekte anschauen. Aber immer wieder sah sie die gediegenen schmiedeeisernen Balkongitter vor sich, die hohen Fenster, die soviel Licht einließen, die herrlichen vergoldeten Spiegel und die Rosen … ach, die Rosen! Sie sah es geradezu vor sich, wie im ganzen Hof Damen in weißen Kleidern und mit breitrandigen Hüten Tee tranken. Eine Teestube in diesem Haus wäre ein voller Erfolg, das wußte sie. Das könnte gar nicht schiefgehen.
Aber daraus wird nichts, dachte sie. Seufzend beschloß sie, lieber zu gehen, bevor der Butler die Polizei rief – was ihm sicher ein Vergnügen wäre. Als sie die Treppe halb hinuntergestiegen war, ging die Tür erneut auf. Sie drehte sich um. »Ich geh ja schon«, sagte sie. »Kein Grund, böse zu werden.«
»Miss Nicholson möchte Sie sehen«, sagte der Butler.
»Was?« fragte sie verwirrt. »Warum?«
»Ich diskutiere die Angelegenheiten meiner Herrschaft nicht auf der Türschwelle«, erwiderte er frostig.
Sie ging die Treppe wieder hinauf.
Der Butler schloß die Tür hinter ihr und führte sie in eine dunkle Diele, die in fahlem Burgunderrot tapeziert war. »Folgen Sie mir«, befahl er ihr. Er führte sie durch einen langen Gang, der mit Porträts streng wirkender Männer und Frauen bestückt war, und durch eine schwere Flügeltür in ein Empfangszimmer, das genauso düster war wie die Diele. »Miss Finnegan ist hier, Madam«, sagte er und schloß die Türen hinter sich.
Die Vorhänge waren geschlossen, und Fiona brauchte eine Weile, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah sie die Frau, die
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