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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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am anderen Ende des Raums auf einer Sitzbank mit gerader Lehne saß. Eine juwelengeschmückte, mit blauen Adern durchgezogene Hand ruhte auf einem Ebenholzstock. Die andere streichelte einen Spaniel in ihrem Schoß. Sie trug ein starres, schwarzes Seidenkleid mit einer weißen Seidenrüsche am Hals. Fiona hatte eine tatterige alte Frau erwartet, aber der Blick aus den grauen Augen, mit dem sie sie abschätzend ansah, war durchdringend und der Ausdruck in dem faltigen Gesicht, das von silbrigem, zu einem makellosen Knoten geschlungenem Haar umrahmt war, unbestechlich.
    »Guten Tag, Miss Nicholson«, begann Fiona nervös. »Ich bin Fiona …«
    »Ich weiß, wer Sie sind. Sie haben eine Frage bezüglich meines Besitzes?« sagte sie und deutete mit ihrem Stock auf einen Stuhl.
    »Ja, Madam«, antwortete Fiona und setzte sich. »Ich würde das Haus gern mieten. Ich möchte in den beiden unteren Stockwerken eine Teestube eröffnen – ich habe einen Teehandel, verstehen Sie –, und mein Freund möchte die oberen Stockwerke mieten. Er möchte eine Kunstgalerie eröffnen.« Detailliert erklärte sie ihre und Nicks Pläne.
    Die Frau runzelte die Stirn. »Mein Haus ist in einem schrecklichem Zustand. Können Sie kein anderes finden?«
    »Ich hab mich umgesehen, aber keines gesehen, das so wundervoll ist wie das Ihre. Es ist eine Schande, ein so schönes Haus einfach verkommen zu lassen, Miss Nicholson. Es ist zwar verwahrlost, aber im Grund solide. Und die Rosen … ach, die sollten Sie sehen! Hunderte und Aberhunderte von Blüten. In Elfenbein, Rosa und Gelb. Sie wären eine Sensation. Niemand in New York hätte eine Teestube mit Teerosen im Hof. Ich weiß einfach, daß die Leute in Scharen zu mir kommen würden.»
    Das Gesicht der Frau entspannte sich bei der Erwähnung der Rosen. »Hab sie mir aus England schicken lassen«, sagte sie. »Vor fünfzig Jahren. Hab sie selbst gepflanzt. Der Gärtner meines Vaters wollte es tun, aber ich hab ihn nicht gelassen.«
    Fiona faßte gerade ein wenig Mut, glaubte gerade, ein wenig näher an ihrem Ziel zu sein, als Miss Nicholson die Augen zusammenkniff und fragte: »Woher wissen Sie von den Rosen?«
    Fiona blickte zu Boden und antwortete kleinlaut: »Ich bin reingegangen.«
    »Ohne Erlaubnis?«
    »Ja«, gab sie zu. »Da war ein loses Brett und …«
    »Wilcox«, sagte Miss Nicholson verächtlich. »Das lose Brett muß ihm einiges eingetragen haben. Es vergeht keine Woche, ohne daß mir irgendein Narr das Haus abluchsen will. Gewöhnlich für einen Pappenstiel. Über wieviel Geld verfügen Sie, Miss Finnegan?«
    »Über nicht sehr viel, fürchte ich. Nur ein paar tausend Dollar. Ich hab gerade ein Vermögen in mein Geschäft gesteckt. Ich will eine neue Teesorte auf den Markt bringen, aromatisierten Tee, und das kostet. Aber es läuft gut«, fügte sie schnell hinzu. »Und der Profit aus der ursprünglichen Sorte ist ebenfalls hoch. Ich weiß einfach, daß ich mit der Teestube ein Vermögen verdienen könnte, Miss Nicholson. Die Köchin dafür hab ich schon, ich brauch bloß noch Bedienungspersonal. Nachdem alle Renovierungsarbeiten getan wären, natürlich. Die würde ich aus eigener Tasche bezahlen, aber ich habe gehofft, daß bei der Miete der Zustand des Gebäudes berücksichtigt würde …«
    Während sie weiterredete, bemerkte Fiona, daß Miss Nicholson interessiert zuhörte. Sie hat mich noch nicht rausgeschmissen, dachte sie. Vielleicht kann ich sie überzeugen. Vielleicht gibt sie mir eine Chance. Aber bevor sie geendet hatte, schnitt ihr Miss Nicholson das Wort ab, erklärte ihr, daß sie das Gebäude nicht vermieten wolle, und wünschte ihr einen guten Tag.
    Fiona war zutiefst enttäuscht und verärgert. Sie hatte das Gefühl, die Frau habe mit ihr gespielt, ihr erlaubt, Hoffnung zu schöpfen, nur um sie dann wieder zu vernichten. Steif stand sie auf, zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und legte sie auf den Marmortisch. »Wenn Sie es sich anders überlegen sollten, können Sie mich unter dieser Adresse erreichen«, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Danke für die Zeit, die Sie mir geschenkt haben.« Sie hatte keine Ahnung, ob die Frau sie gehört hatte. Ihr Blick war auf ein Bild über dem Kamin gerichtet.
    Fiona ging zur Tür, aber bevor sie sie erreicht hatte, fragte Miss Nicholson plötzlich: »Warum verwenden Sie so viel Mühe auf ein Geschäft, Miss Finnegan? Warum heiraten Sie nicht? Eine so schöne Frau wie Sie muß doch eine Menge Verehrer haben?

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